Tuesday, April 22, 2014

Ihre Heiligkeit Jerusalem - Gedanken zu Pessach und Ostern in Jerusalem

Gebet am Schabbatmorgen 
Eine erste vorsommerliche Hitzewelle überrollt Jerusalem in der Karwoche 2014, gemessen werden Temperaturen von über 30°C. Die Altstadt, dieser religiöse Nabel der monotheistischen Welt, wird in dieser Woche jedoch von einer noch viel hitzigeren Welle überrollt, der Hitze des religiösen Wahns. In den engen Gassen des orientalischen Basars, im muslimischen, im christlichen und im jüdischen Viertel, drängen sich die Massen.

Die Juden eilen zur Klagemauer mit ihrem großen Vorplatz, um während der Pessachwoche den Priestersegen zu erhalten (Donnerstag), den Shabbat zu empfangen (Freitagabend) oder auch nur an diesem heiligsten Ort der Juden zu beten (Schabbat) – dort, wo die Zerstörung des Tempels beklagt wird.

Pilger aus Afrika auf dem Weg zur Grabeskirche
Christen aller Konfessionen und Nationen schieben und stoßen sich klagend den Kreuzweg entlang, mitten durch den orientalischen Basar – hin zur Grabeskirche. Sie drängen sich auf dem kleinen Vorplatz, jeder versucht sich durch den einzigen kleinen Ein- und Ausgang zu zwängen, der die Massen nicht mehr aufnehmen kann. Von Karfreitag bis Ostern wird dort drei geschlagene Tage der Kreuzigung, des Heiligen Feuers und der Auferstehung gedacht. Den ansäßigen arabischen Christen, den Pilgern aus Europa, Asien, Afrika und Amerika, bewaffnet mit Kreuzen, Kerzen und Klappstühlen, steht die Erschöpfung vom stundenlangen Anstehen und Vorwärtsdrängen ins Gesicht geschrieben. Überall liegt Müll, selbst im Innern der Kirche, diesem heiligsten Ort der Christenheit – Orthodoxe, Katholiken, Kopten und Armenier feiern in diesem Jahre alle gleichzeitig, dummerweise.

Unterwegs zu Heiligen Stätten
Am Freitag Morgen strömen die Muslime in großer Zahl zum wöchentlichen Gebet auf dem Tempelberg. Aus Sicherheitsgründen sind nur Männer ab 50 zugelassen, Frauen haben unbeschränkt Zugang. Am Schnittpunkt zwischen dem Kreuzweg und den Aufgängen zum Tempelberg, wo Christen und Muslime aufeinandertreffen, knistert die Luft vor Spannung. Eine alte Muslimin, erschöpft von Hitze und Gedränge, schreit auf die Polizei ein. Ich verstehe nur das eine Wort: "Jude". Doch ist das zu kurz gegriffen: Schuld an dem Gedränge sind nicht die Juden allein, schuld sind all diese Menschen, die der Jerusalemer Heiligkeit wegen die Altstadt überschwemmen.

Die Polizei hat ein Riesenaufgebot organisiert, es ist Jahre her, dass ich so viele Sicherheitskräfte in der Altstadt gesehen habe. Reichlich ausgerüstet, hervorragend strukturiert und bestens organisiert halten sie die Massen von Pilgern und Betenden in Schach, die sich durch die Gassen wälzen, errichten Straßensperren, halten die Pilger auf, damit sie sich im Gedränge nicht gegenseitig erdrücken. Gedanken an tragisch endende Fußballspiele oder an die Love Parade 2010 in Duisburg werden wach.

Ein Dankeschön für die gute Arbeit
Am Ostersonntag öffnet sich ein Ventil dieses Pulverfasses, auf dem Tempelberg, wo sich Palästinenser und israelische Sicherheitskräfte richtiggehende Schlachten liefern und die europäischen Medien einmal mehr melden: "Dutzende Verletzte auf dem Tempelberg". Wieder wird diese multikulturelle, vielschichtige Gesellschaft, die hier aufeinanderprallt, über den allzu einfachen Nenner des israelisch-palästinensischen Konfliktes definiert. Auch das: zu kurz gegriffen.

Prozession der griechisch-orthodoxen
Gemeinde durch den Bazar
Jerusalem, Ihre Heiligkeit. Alle feiern hier die Heiligkeit Jerusalems, die Juden und die Araber, die hier leben, und dazu die vielen Pilger – Juden, Christen und Muslime –, die sich in diesen Wochen zur einheimischen Bevölkerung gesellen.

Doch heilige Arbeit geleistet haben hier vor allem die Sicherheitskräfte. Ohne sie hätten diese heiligen Tage in einer Katastrophe geendet. Leider muss ich eingestehen, daß meine Reiseteilnehmer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und trotz des ausgeklügelten Einsatzplans der Polizei am Freitagabend nach der  Grablegungsfeier in der heiligen Stätte der Christen einer echten Gefahr ausgesetzt waren – als nämlich die Masse der Pilger, wie aus der Kanone geschossen, die Grabeskirche erstürmte. Den Göttern sei gedankt, daß nichts passiert ist.