![]() |
Gebet am Schabbatmorgen |
Eine erste vorsommerliche Hitzewelle überrollt Jerusalem in der Karwoche
2014, gemessen werden Temperaturen von über 30°C. Die Altstadt, dieser religiöse Nabel
der monotheistischen Welt, wird in dieser Woche jedoch von einer noch viel
hitzigeren Welle überrollt, der Hitze des religiösen Wahns. In den engen Gassen
des orientalischen Basars, im muslimischen, im christlichen und im jüdischen
Viertel, drängen sich die Massen.
Die Juden eilen zur Klagemauer mit
ihrem großen Vorplatz, um während der Pessachwoche den Priestersegen zu
erhalten (Donnerstag), den Shabbat zu empfangen (Freitagabend) oder auch nur an
diesem heiligsten Ort der Juden zu beten (Schabbat) – dort, wo die Zerstörung
des Tempels beklagt wird.
![]() |
Pilger aus Afrika auf dem Weg zur Grabeskirche |
Christen aller Konfessionen und
Nationen schieben und stoßen sich klagend den Kreuzweg entlang, mitten durch
den orientalischen Basar – hin zur Grabeskirche. Sie drängen sich auf dem
kleinen Vorplatz, jeder versucht sich durch den einzigen kleinen Ein- und
Ausgang zu zwängen, der die Massen nicht mehr aufnehmen kann. Von Karfreitag
bis Ostern wird dort drei geschlagene Tage der Kreuzigung, des Heiligen Feuers
und der Auferstehung gedacht. Den ansäßigen arabischen Christen, den Pilgern
aus Europa, Asien, Afrika und Amerika, bewaffnet mit Kreuzen, Kerzen und
Klappstühlen, steht die Erschöpfung vom stundenlangen Anstehen und Vorwärtsdrängen
ins Gesicht geschrieben. Überall liegt Müll, selbst im Innern der Kirche,
diesem heiligsten Ort der Christenheit – Orthodoxe, Katholiken, Kopten und
Armenier feiern in diesem Jahre alle gleichzeitig, dummerweise.
![]() |
Unterwegs zu Heiligen Stätten |
Am Freitag Morgen strömen die
Muslime in großer Zahl zum wöchentlichen Gebet auf dem Tempelberg. Aus
Sicherheitsgründen sind nur Männer ab 50 zugelassen, Frauen haben unbeschränkt
Zugang. Am Schnittpunkt zwischen dem Kreuzweg und den Aufgängen zum Tempelberg,
wo Christen und Muslime aufeinandertreffen, knistert die Luft vor Spannung. Eine
alte Muslimin, erschöpft von Hitze und Gedränge, schreit auf die Polizei ein.
Ich verstehe nur das eine Wort: "Jude". Doch ist das zu kurz
gegriffen: Schuld an dem Gedränge sind nicht die Juden allein, schuld sind all
diese Menschen, die der Jerusalemer Heiligkeit wegen die Altstadt überschwemmen.
Die Polizei hat ein Riesenaufgebot
organisiert, es ist Jahre her, dass ich so viele Sicherheitskräfte in der
Altstadt gesehen habe. Reichlich ausgerüstet, hervorragend strukturiert und bestens
organisiert halten sie die Massen von Pilgern und Betenden in Schach, die sich
durch die Gassen wälzen, errichten Straßensperren, halten die Pilger auf, damit
sie sich im Gedränge nicht gegenseitig erdrücken. Gedanken an tragisch endende Fußballspiele
oder an die Love Parade 2010 in Duisburg werden wach.
![]() |
Ein Dankeschön für die gute Arbeit |
Am Ostersonntag öffnet sich ein
Ventil dieses Pulverfasses, auf dem Tempelberg, wo sich Palästinenser und
israelische Sicherheitskräfte richtiggehende Schlachten liefern und die
europäischen Medien einmal mehr melden: "Dutzende Verletzte auf dem
Tempelberg". Wieder wird diese multikulturelle, vielschichtige
Gesellschaft, die hier aufeinanderprallt, über den allzu einfachen Nenner des
israelisch-palästinensischen Konfliktes definiert. Auch das: zu kurz gegriffen.
![]() |
Prozession der griechisch-orthodoxen Gemeinde durch den Bazar |
Doch heilige Arbeit geleistet haben
hier vor allem die Sicherheitskräfte. Ohne sie hätten diese heiligen Tage in
einer Katastrophe geendet. Leider muss ich eingestehen, daß meine
Reiseteilnehmer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und trotz des ausgeklügelten
Einsatzplans der Polizei am Freitagabend nach der Grablegungsfeier in der heiligen Stätte der
Christen einer echten Gefahr ausgesetzt waren – als nämlich die Masse der
Pilger, wie aus der Kanone geschossen, die Grabeskirche erstürmte. Den Göttern sei gedankt, daß nichts passiert ist.