Wir verbringen ein verlängertes Wochenende in Madj AlSchams, dem grössten
der vier Drusendörfer auf den von Israel 1982 annektierten Golanhöhen.
Wunderbar ist die geografische Lages des Dorfes zu Füssen des Hermongebirges.
Wir haben uns bei einer Drusenfamilie eingemietet, geniessen die Aussicht auf
die Berge und das breite Tal unterhalb des Dorfes, das von Apfel- und
Kirschenplanatagen bewachsen ist. Eben fängt die Kirschenernte an, also eine
geschäftige Zeit. Hoch oben über dem Dorf jedoch herrscht Ruhe, nur das
Dauersummen des Verkehrs ist zu hören, und sporadische Gewehrsalven von der
"anderen Seite". Der elektronische Zaun entlang der Waffenstillstandsslinie
verläuft gleich hinter dem Dorf. Dann gibt es wenige Kilometer Niemandsland,
und dann kommt Syrien.
Madj AlSchams hat mehr als 10,000
Einwohner und bildet das drusische Zentrum in den Golanhöhen; es ist eher eine
Kleinstadt mit vielen Kleidergeschäften, Banken, Kranken- und Zahnarztkliniken,
2 Hotels und einer schönen Anzahl Restaurants. Wir schlendern durch das Dorf und
kommen in den Genuss einer weiteren Fazette dieser multikulturellen Region im östlichen Mittelmeerraum. Auf einem
Verkehrskreisel des Dorfes findet, 4 Tage vor den Präsidentschaftswahlen in
Syrien, eine fröhliche Wahlkampagnie für den amtierenden Präsidenten von
Syrien, Baschar Assad statt, den Mann, der für die bisher
160,000 Toten des Bürgerkrieges und für die Millionen Vertriebenen und
Flüchtlinge in Syrien verantwortlich ist. Fahrzeuge mit syrischen Flaggen und
lauter Musik fahren durchs Dorf, auf der Verkehrsinsel mit
Statue werden Fahnen
geschwenkt, es wird ein Kreis gebildet und zur Musik getanzt. Es herrscht eine
durchaus entspannte und fröhliche Stimmung, wie bei einem Volksfest. Trotzdem
wage ich es nicht zu fotografieren.
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Heimlich fotografiert - ein parkierendes Fahrzeug in Madj AlShams |
Wir führen ein langes Gespräch mit einem
jungen Dorfbewohner. Ein Teil seiner Familie lebt in Syrien, in einem Dorf in
der Nähe von Daara, im Süden Syriens. "Es geht ihnen gut", sagt er am
Anfang. Aber dann kommen weitere Details hinzu: "Sie haben
viele Flüchtlinge aufgenommen. Die Strassen sind zerstört
und die Versorgung ist nicht
immer gewährleistet..... aber die Regierung hilft, wo
sie kann." Und auch: "Alle
Zeitungen lügen, Assad liebt sein Volk."
Die Drusen sind eine ethnisch-religiöse
Minderheit, gebildet im 11. Jahrhundert, und seither vor allem vom Islam, von
dem sie sich abgesondert haben, verfolgt. Überlebt haben sie, weil sie an schwer zugänglichen
Orten leben, und weil sie sich immer mit der jeweiligen Regierung gutstellen. Die 5-6 Millionen Drusen verteilen sich über Syrien, Libanon, die
Türkei, Israel und Jordanien. In Israel leisten die drusischen Männer
obligatorischen Militärdienst. Hier in den annektierten Golanhöhen, wo in der
Vergangenheit ab und zu geheime Verhandlungen zwischen Israel und Syrien
stattfanden, ist Loyalität eine schwierige Sache. Loyalität dem Staat
Israel gegenüber, wenn die Golanhöhen morgen zurückgegeben werden? Oder doch lieber mit dem Mörder
auf der anderen Seite des Grenzzauns, nicht zuletzt, um die eigene Familie im Dorf
nebenan Daara zu schützen?
Unser Zimmervermieter distanziert sich vehement von Assad und seinen
Befürwortern. "Denkt nur ja nicht, dass alle hier Assad
unterstützen", sagt er uns. Er zitiert Platon und vergleicht diese
Befürworter mit Eseln, die nicht denken können. Er erzählt uns von seinem
Bruder, der in Syrien Medizin studierte und jetzt mit seiner Familie nach Deutschland
geflüchtet ist. Die Familie verkauft Grundstücke im Dorf, damit der Arzt sich in
Deutschland eine neue Existenz aufbauen kann. Unser Zimmervermieter erzählt uns
das alles ohne die landesüblichen Emotionen, ohne jede Verbitterung. Man
arrangiert sich eben mit den Gegebenheiten.
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Eine Gruppe Drusen in traditionell-religiöser Kleidung |
Irgendwann wird es wieder Diskussionen
über eine Rückgabe der Golanhöhen geben. Bis es so weit ist, arbeiten die
Drusen hier fleissig, produzieren herrliche Kirschen und Äpfel, man bildet sich
(500 Mediziner und 100 Anwälte gebe es im Dorf), und die junge Generation hat
sich sehr weit von der traditionellen Lebensweise entfernt. Junge Frauen in
hautnahen Jeans und schulterfreien Shirts
beherrschen das Strassenbild.
Traditionelle Kopfbedeckungen gibt es nur noch bei der
Grosselterngeneration. Hier bewegt sich eine kleine Welt,
guckt aber auch immer wieder über die Grenze, besorgt, was wohl die Zukunft
bringen wird.
Und im Geheimen sind die Menschen sicher dankbar, dass der Grenzzaun östlich des Dorfes verläuft und man so vom Bürgerkrieg verschont
bleibt. Das jedoch spricht niemand aus. Und ich nenne auch lieber keine Namen, man weiss ja nie.