Wednesday, February 4, 2015

I have a dream – ich habe einen Traum

Gedanken zu den bevorstehenden Wahlen in Israel am 17.3.2015


I have a dream
Im Jahre 1963 hielt der Menschenrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede, in der er seine Visionen zusammenfasste. I have a dream – mit diesen Worten stellte er seine Grundsätze einer egalitären zivilen Gesellschaft vor. Vom visionären Inhalt einmal abgesehen, ist diese Rede auch ein rhetorisches Kunststück.

Auch ich habe meine Träume für unser kleines geplagtes Land.


Ich träume von einer israelischen Regierung, die die Gemeinsamkeiten aller Bürger hervorhebt.
Heute haben wir eine Regierung, die den Rassismus und die Unterschiede schürt.
Wir alle lieben Hummus (Kichererbsenpüree, eine arabische Spezialität) und benutzen im Hebräischen u.a. arabische Ausdrücke wie alha kefak (prima), sababa (wunderbar) und mabsut (zufrieden). Arabische Trödlersammler ziehen durch israelische Städte und rufen "all-te-Sa-chähn" (alte Sachen), ein von den Jiddisch sprechenden osteuropäischen Juden vor vielen Jahren  mitgebrachte Bezeichnung für Trödel. Nicht nur gehören etliche arabische Wörter zum Alltagshebräisch, auch viele hebräische Vokabeln haben sich ins palästinensische Arabisch eingeschlichen.

Ich träume von einer israelischen Regierung, die die Koexistenz fördert.
Heute haben wir eine Regierung, die die Angst schürt.
Wir leben in EINEM Land zusammen (gemeint ist das Kernland Israels, ohne Westjordanland oder Gazastreifen), und werden es voraussichtlich noch lange tun, 80% Juden, 20% Araber. Es gibt Ansätze von Begegnungen, Dialogen, kulturellem Austausch, Sportanlässen, gemeinsamer Begabtenförderung, aber noch immer wird viel zu wenig für unsere Koexistenz getan und in zu geringem Umfang.

Ich träume von einer israelischen Regierung, die Zukunftsvisionen hat.
Heute haben wir eine Regierung, die die bestehenden Konflikte verwaltet, mehr nicht.
Es gibt viele Vorschläge für eine Lösung des gordischen Knotens namens Nahostkonflikt, von der Genfer Initiative bis zum saudiarabischen Vorstoß, Vorschläge von amerikanischer und europäischer Seite. Die Pferde wurden zur Tränke geführt, die Zeit ist reif, jetzt geht’s ans Trinken.

Ich träume von einer Regierung, die in Bildung und Gesundheit investiert.
Heute haben wir eine Regierung, die riesige Beträge in die Siedlungen steckt.
Ein gutes Bildungswesen ist eine Investition in unsere Zukunft, in die Zukunft der Juden, Muslime und Christen in diesem Land, für alle gemeinsam. Es ist kontraproduktiv, in jüdische Siedlungen zu investieren, auch wenn die messianischen Ideologen gegenteiliger Meinung sind.

 L’état c’est moi.
Ich träume von einer Regierung, die sich den Bürgern verpflichtet fühlt.
Heute haben wir eine Regierung, die immer mehr in Vetternwirtschaft und Korruptionsaffären verwickelt ist.
Besetzung, Kolonialisierung und Machtausübung über lange Zeiträume korrumpieren. Ein Skandal löst den anderen ab, ehemalige Führungskräfte treffen sich im Gericht und später im Gefängnis. Ein König, nur sich selbst verpflichtet, sagte vor mehr als 300 Jahren: L’état c’est moi. Zwei Generationen später brach die Französische Revolution aus. Politische Prozesse geschehen heute viel schneller.

Ich träume von einer Regierung, die sich fragt, wie man es besser machen kann.
Heute haben wir eine Regierung, die die Schuld an allem immer bei anderen sucht.
Diese Regierung hetzt, gegen den Palästinenserpräsidenten Abbas, gegen die israelische Linke, gegen alle, die eine andere Meinung haben. Noch fühle ich mich nicht bedroht. Im letzten Sommer, als wir gegen den Gazakrieg demonstrierten, mussten wir jedoch von der Polizei geschützt werden gegen die aufgehetzten Massen.

Die letzte Umfrage, 6 Wochen vor den Wahlen, deutet auf einen kleinen Vorsprung der Likudpartei von Benjamin Netanjahu gegenüber der Arbeiterpartei von Itzhak Herzog und Zipi Livni hin. Also weitere Jahre voller Kleinkriege, die uns nicht weiterbringen, eine Fortsetzung des Siedlungsausbaus im Westjordanland, der Korruption, des Rassismus und der Hoffnungslosigkeit?

Israel ist nicht allein für die Krisen im Nahen Osten verantwortlich. Die arabische Welt befindet sich im Umbruch, sie wird geschüttelt von einer tiefen Krise, die immer wieder in brutalen Gewaltsausbrüchen gipfelt. Ich jedoch lebe in der israelischen Gesellschaft. Mein Traum ist es, dass diese Gesellschaft sich wandelt, dass sie einen Schritt in die richtige Richtung tut.

Ich habe einen Traum. Lasst uns gemeinsam träumen. 
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. (David Ben Gurion).
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.