Gedanken zu den bevorstehenden Wahlen in
Israel am 17.3.2015
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I have a dream |
Im Jahre 1963 hielt der
Menschenrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede, in der er seine
Visionen zusammenfasste. I have a dream – mit diesen Worten stellte er seine
Grundsätze einer egalitären zivilen Gesellschaft vor. Vom visionären Inhalt einmal
abgesehen, ist diese Rede auch ein rhetorisches Kunststück.
Auch ich habe meine
Träume für unser kleines geplagtes Land.
Ich träume von einer
israelischen Regierung, die die Gemeinsamkeiten aller Bürger hervorhebt.
Heute haben wir eine
Regierung, die den Rassismus und die Unterschiede schürt.
Wir alle lieben Hummus
(Kichererbsenpüree, eine arabische Spezialität) und benutzen im Hebräischen u.a.
arabische Ausdrücke wie alha kefak (prima), sababa (wunderbar) und mabsut
(zufrieden). Arabische Trödlersammler ziehen durch israelische Städte und rufen
"all-te-Sa-chähn" (alte Sachen), ein von den Jiddisch sprechenden osteuropäischen
Juden vor vielen Jahren mitgebrachte
Bezeichnung für Trödel. Nicht nur gehören etliche arabische Wörter zum
Alltagshebräisch, auch viele hebräische Vokabeln haben sich ins
palästinensische Arabisch eingeschlichen.
Ich träume von einer
israelischen Regierung, die die Koexistenz fördert.
Heute haben wir eine
Regierung, die die Angst schürt.
Wir leben in EINEM Land
zusammen (gemeint ist das Kernland Israels, ohne Westjordanland oder
Gazastreifen), und werden es voraussichtlich noch lange tun, 80% Juden, 20%
Araber. Es gibt Ansätze von Begegnungen, Dialogen, kulturellem Austausch,
Sportanlässen, gemeinsamer Begabtenförderung, aber noch immer wird viel zu
wenig für unsere Koexistenz getan und in zu geringem Umfang.
Ich träume von einer
israelischen Regierung, die Zukunftsvisionen hat.
Heute haben wir eine
Regierung, die die bestehenden Konflikte verwaltet, mehr nicht.
Es gibt viele
Vorschläge für eine Lösung des gordischen Knotens namens Nahostkonflikt, von
der Genfer Initiative bis zum saudiarabischen Vorstoß, Vorschläge von amerikanischer
und europäischer Seite. Die Pferde wurden zur Tränke geführt, die Zeit ist reif,
jetzt geht’s ans Trinken.
Ich träume von einer
Regierung, die in Bildung und Gesundheit investiert.
Heute haben wir eine
Regierung, die riesige Beträge in die Siedlungen steckt.
Ein gutes Bildungswesen ist eine
Investition in unsere Zukunft, in die Zukunft der Juden, Muslime und Christen
in diesem Land, für alle gemeinsam. Es ist kontraproduktiv, in jüdische
Siedlungen zu investieren, auch wenn die messianischen Ideologen gegenteiliger
Meinung sind.
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L’état c’est moi. |
Ich träume von einer
Regierung, die sich den Bürgern verpflichtet fühlt.
Heute haben wir eine
Regierung, die immer mehr in Vetternwirtschaft und Korruptionsaffären
verwickelt ist.
Besetzung, Kolonialisierung und
Machtausübung über lange Zeiträume korrumpieren. Ein Skandal löst den anderen
ab, ehemalige Führungskräfte treffen sich im Gericht und später im Gefängnis. Ein
König, nur sich selbst verpflichtet, sagte vor mehr als 300 Jahren: L’état
c’est moi. Zwei Generationen später brach die Französische Revolution aus.
Politische Prozesse geschehen heute viel schneller.
Ich träume von einer
Regierung, die sich fragt, wie man es besser machen kann.
Heute haben wir eine
Regierung, die die Schuld an allem immer bei anderen sucht.
Diese Regierung hetzt, gegen den
Palästinenserpräsidenten Abbas, gegen die israelische Linke, gegen alle, die
eine andere Meinung haben. Noch fühle ich mich nicht bedroht. Im letzten Sommer,
als wir gegen den Gazakrieg demonstrierten, mussten wir jedoch von der Polizei
geschützt werden gegen die aufgehetzten Massen.
Die letzte Umfrage, 6 Wochen
vor den Wahlen, deutet auf einen kleinen Vorsprung der Likudpartei von Benjamin
Netanjahu gegenüber der Arbeiterpartei von Itzhak Herzog und Zipi Livni hin.
Also weitere Jahre voller Kleinkriege, die uns nicht weiterbringen, eine
Fortsetzung des Siedlungsausbaus im Westjordanland, der Korruption, des Rassismus
und der Hoffnungslosigkeit?
Israel ist nicht allein für
die Krisen im Nahen Osten verantwortlich. Die arabische Welt befindet sich im
Umbruch, sie wird geschüttelt von einer tiefen Krise, die immer wieder in
brutalen Gewaltsausbrüchen gipfelt. Ich jedoch lebe in der israelischen
Gesellschaft. Mein Traum ist es, dass diese Gesellschaft sich wandelt, dass sie
einen Schritt in die richtige Richtung tut.
Ich habe einen Traum. Lasst
uns gemeinsam träumen.
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. (David Ben
Gurion).
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Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. |