Sunday, September 4, 2016

Im Würgegriff der Angst

Von München über die USA bis Istanbul und Bagdad, Paris und Brüssel regiert der Terror, wird zum ewigen Medienthema. Die Zeitungen des Sommerloches sind voll mit Bildern, Geschichten und Kommentaren zu den Terrorangriffen, das Fernsehen zeigt immer wieder die gleichen Bilder von Orlando, Nizza und Ansbach. Es wird getwittert, Facebook und Youtube laufen heiss. Und die Politiker nutzen die Angriffe jeweils für ihre eigenen Ziele. Und immer wieder wird über Angst diskutiert.

Europa befindet sich im Würgegriff der Angst, schreibt mir eine Reiseteilnehmerin aus Deutschland. Der Terror und die Angst sind zum europäischen Dauerthema mutiert.

Warnung vor Minen an der Grenze zwischen Jordanien
und den besetzten Gebieten, östlich von Jericho
In Bethlehem führe ich ein Gespräch mit P., einem palästinensischen Christ und stelle fest, dass auch dort Angst herrscht. Die israelischen Behörden haben den Christen der besetzten Gebiete eine 3-monatige Reisebewilligung nach Israel erteilt. P. hat Angst, auf der Strasse zwischen Jerusalem und Jericho von einem Soldaten oder einem Siedler an- oder erschossen zu werden. Er möchte gerne nach Haifa fahren, findet es jedoch gefährlich. Mein Argument, dass im Kernland von Israel beinahe 2 Millionen Araber, Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, leben, die sich überall frei bewegen, überzeugt ihn nicht. Nicht nur die Israelis haben Angst vor den Palästinensern, die Araber haben genauso Angst vor den Israelis. 

Im Niemandsland zwischen der Westbank
und der israelischen Küste, 15 km von unserem
Dorf und doch Welten entfernt. Bürgerschutz?
Ich übernachte mit einer Gruppe in Bethlehem. Ich werde von verschiedenen Seiten gewarnt und bleibe abends hinter den Mauern des Gästehauses, unter dem Vorwand, dass ich nach einem langen Tag Reiseleitung (in Jerusalem) in der Sommerhitze zu müde zum Spazieren bin. Angst? Ja. etwas.

K., ein Afro-Amerikaner, gesellt sich zu P. und mir in Bethlehem, und wir entwickeln unser Gespräch über Angst weiter. Er erzählt von seinem Sohn in den USA, der in Quartieren des weissen Mittelstandes hausiert. K. hat ihm genaue Verhaltensanweisungen gegeben, damit er nicht von irgendeinem Weissen an- oder erschossen wird. K. hat Angst um seinen schwarzen Sohn.

Angst, überall, in Europa, in den USA, im Nahen und Mittleren Osten, immer wieder Angst. Wie schützen wir uns davor?

Auf Staatsebene kann und soll der Staat und seine Behörden seine Bürger durch strengere Sicherheitsmassnahmen besser schützen. Viel wird über die Israelisierung der europäischen Städte diskutiert, auf Kosten der «persönlichen Freiheit». Wir leben seit 15 Jahren mit Sicherheitskontrollen am Eingang vom Bahnhof, dem Einkaufszentrum, bei Massenveranstaltungen. Nie habe ich dabei das Gefühl, dass dadurch meine persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Man wechselt einige freundliche Worte mit dem Sicherheitsbeamten und geht weiter. So sieht die Israelisierung, oberflächlich gesehen, aus. Natürlich steckt da auch mehr dahinter. In Europa gibt es im öffentlichen Bereich bereits bedeutend mehr Sicherheitspersonal als vor einem Jahr.

Ein Teil der Angstbearbeitung muss jedoch von uns selber auf der persönlichen Ebene geleistet werden:
  • -       Rationalisierung: es gibt viel mehr Unfalltote als Terrortote, die meisten Menschen sterben im Bett, an Krankheiten… Wie viele Terrortote gibt es nun wirklich? Ganz verschwindend wenig.
  • -       Relativierung: nach dem Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion in Paris habe ich auf FB Posts gesehen, in denen Pariser gefragt wurden, ob sie gesund seien. Irrational? Ja, ganz sicher.
  • -       Bewusster und relativierter Medienkonsum, mit dem Hintergrundgedanken, uns weniger beeinflussen zu lassen. Wenn die TV-Kameras jede Blutlache bei Autounfällen um die ganze Welt senden würden, ginge keiner mehr auf die Strasse. Und trotzdem setzen wir uns jeden Tag ins Auto oder aufs Fahrrad und setzen uns viel grösseren Gefahren aus.

Überall Zäune, geschlossene Tore.
Auch in Europa wird heute darüber diskutiert.
Während des 1. Golfkrieges, im Winter 1991, habe ich Medienwissenschaften studiert. Die Uni war während des Krieges geschlossen. Die provozierende Frage eines jungen, frechen Lektors nach Ende des Krieges „So, habt ihr den Krieg genossen?“ hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Was meinte er damit, der kecke Typ? Die Raketen aus dem Arsenal von Saddam Hussein haben damals viel Nervenkitzel in unseren Routinealltag gebracht, und so bringen auch die Bilder von Orlando oder Nizza viel Interessantes in unsere Wohnzimmer.

UNSERE Waffen gegen die bärtigen Gesellen des IS, die sich bei jedem Anschlag ins Fäustchen lachen, sind ein besserer Schutz der Bürger durch den Staat, eine persönliche Bemühung um eine Relativierung der Angst, sowie ein ganz bewusster, vielleicht verminderter Medienkonsum.
Und….. trotzdem hinfahren, nach Paris, nach Istanbul, um zu sehen und zu staunen, dass durch einen Terroranschlag nicht ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden. Dafür müsste man nach Syrien oder in den Irak fahren. Dort lernt man wirklich das Fürchten, und von dort wollen alle nur weg.

Thursday, July 7, 2016

Doppelt genäht hält besser? Gedanken zu Heirat und Menschenrechten

Wer uns näher kennt, weiss, dass wir momentan beschäftigt sind, zwei unserer drei Kinder unter die Haube zu bringen. Jedes heiratet auch gleich zwei Mal, einmal zivil im Ausland, das zweite Mal mit einem Familienfest. Warum? Weil doppelt genäht besser hält, wie es eine alte Redensart besagt? Die Antwort findet Ihr unten. Letztes Jahr habe ich das Thema Heirat in einem Blog bereits thematisiert, nun ist es für uns höchst aktuell.


Hochzeit auf Kreta
Heiraten dürfen, wen man möchte, ist laut UNO ein grundlegendes Menschenrecht. In ihrer Allgemeinen Erklärung sind der grundlegende Schutz von Ehe und Familie, die Freiheit zur Eheschliessung, die Gleichberechtigung der Ehepartner und die Freiheit zur Familiengründung definiert. Artikel 16 gewährt das Recht zur Eheschließung unabhängig von Rasse, Staatsbürgerschaft oder Religion, schützt aber auch die Freiheit, eine Ehe nicht eingehen zu wollen.

Daneben steht es den einzelnen Staaten frei, in ihren Ehegesetzen andere Hindernisse zu bestimmen, wie z.B. das Verbot der Polygamie oder der Eheschließung zwischen nahen Blutsverwandten. Die westlichen Demokratien haben diese beiden Hindernisse in ihrer Gesetzgebung verankert; entsprechend werden die zu Vermählenden vor der Eheschließung vom Zivilstandsamt / Standesamt überprüft. Darüber hinaus wird in vielen westlichen Ländern um die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen gerungen.

Feier im engsten Familienkreis
Im gesamten Nahen Osten, so das Ergebnis einer Internetrecherche, gibt es keine zivilen Eheschließungen, die Autorität liegt bei den jeweiligen religiösen Gemeinden, also bei Scheichen, Priestern oder Rabbinern. Im Libanon wurde 1936 (unter dem Französischen Mandat) ein Dekret ausgearbeitet, das den religiösen Gemeinden die gesetzliche und administrative Verantwortung für alle Personenstandsangelegenheiten überträgt. Wobei im Libanon nicht weniger als 18 verschiedene Religionsgruppen leben!

Praktisch bedeutet das: In allen Ländern, die ähnlich wie der Libanon eine große Anzahl verschiedener ethnischer und religiöser Gruppierungen aufweisen, darf nur innerhalb der eigenen Religionsgemeinde geheiratet werden. Da gibt es Sunniten und Schiiten, Christen 16 verschiedener Konfessionen, Drusen, Jesiden, Alawiten, Ahmedi, und Bahai – und eine Vermischung ist praktisch unmöglich, denn: wer sollte die Liebenden trauen? So werden die Bestimmungen der UNO de facto ausgehebelt.
Hochzeitsfeier in Jerusalem

Israel bildet da keine Ausnahme. Christen können keine Muslime heiraten, Muslime keine Juden, usw. Die jüdische Gesetzgebung (Halacha) hat weitere Auflagen - uralte Gesetze, in denen festgelegt wurde, wer wen heiraten darf – und auch wann.

Meine Kinder und ihre Partner sind jüdisch, es gibt also keine Hindernisse. Man geht zum Rabbinat, schreibt sich ein und heiratet – ein scheinbar unkomplizierter Vorgang. Oder doch nicht?

Stellt Euch Folgendes vor: Ihr seid ein protestantisches Liebespaar in einem überwiegend protestantischen Staat und wollt heiraten. Der Staat schreibt vor, dass Euch nur ein katholischer Priester trauen (und auch scheiden) kann. So ungefähr läuft es hier. In unserem sozialen Umfeld ist kaum jemand fromm, auch nicht annähernd, aber heiraten (und sich scheiden lassen) – das geht ausschließlich über die orthodoxen Institutionen.

Es gibt natürlich Alternativen. Unser Sohn und seine Partnerin haben sich von einem nicht-orthodoxen Rabbiner in Jerusalem trauen lassen − nur ist diese Eheschliessung nicht rechtsgültig. Man kann auch einen (zivilen) Ehevertrag schließen, doch auch dieser wäre nicht rechtsgültig. Unsere Tochter und ihr Partner wünschten sich eine Feier im engsten Familienkreis auf Kreta, mit Sonne, Meer und einer privaten Zeremonie.
Fröhlicher Hochzeitsmarsch vor dem Panorama
der Jerusalemer Altstadt

Ziviltrauungen im Ausland werden sowohl von Israel als auch vom Libanon als rechtsgültig anerkannt. Unsere Tochter und ihr Partner haben sich in der Schweiz zivil trauen lassen, unser Sohn und seine Partnerin heiraten in Zypern. Dort hat sich eine regelrechte Heiratsindustrie entwickelt, wo sich Israelis und Libanesen, die zu Hause nicht heiraten wollen oder dürfen, die Klinke in die Hand geben.

Mazal tov!!