Von München über die USA bis Istanbul und
Bagdad, Paris und Brüssel regiert der Terror, wird zum ewigen Medienthema. Die
Zeitungen des Sommerloches sind voll mit Bildern, Geschichten und Kommentaren
zu den Terrorangriffen, das Fernsehen zeigt immer wieder die gleichen Bilder
von Orlando, Nizza und Ansbach. Es wird getwittert, Facebook und Youtube laufen
heiss. Und die Politiker nutzen die Angriffe jeweils für ihre eigenen Ziele.
Und immer wieder wird über Angst diskutiert.
Europa befindet sich im Würgegriff der
Angst, schreibt mir eine Reiseteilnehmerin aus Deutschland. Der Terror und die
Angst sind zum europäischen Dauerthema mutiert.
Warnung vor Minen an der Grenze zwischen Jordanien und den besetzten Gebieten, östlich von Jericho |
In Bethlehem führe ich ein Gespräch mit P.,
einem palästinensischen Christ und stelle fest, dass auch dort Angst herrscht.
Die israelischen Behörden haben den Christen der besetzten Gebiete eine
3-monatige Reisebewilligung nach Israel erteilt. P. hat Angst, auf der Strasse
zwischen Jerusalem und Jericho von einem Soldaten oder einem Siedler an- oder
erschossen zu werden. Er möchte gerne nach Haifa fahren, findet es jedoch
gefährlich. Mein Argument, dass im Kernland von Israel beinahe 2 Millionen
Araber, Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, leben, die sich
überall frei bewegen, überzeugt ihn nicht. Nicht nur die Israelis haben Angst
vor den Palästinensern, die Araber haben genauso Angst vor den Israelis.
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Im Niemandsland zwischen der Westbank und der israelischen Küste, 15 km von unserem Dorf und doch Welten entfernt. Bürgerschutz? |
K., ein Afro-Amerikaner, gesellt sich zu P.
und mir in Bethlehem, und wir entwickeln unser Gespräch über Angst weiter. Er
erzählt von seinem Sohn in den USA, der in Quartieren des weissen Mittelstandes
hausiert. K. hat ihm genaue Verhaltensanweisungen gegeben, damit er nicht von irgendeinem
Weissen an- oder erschossen wird. K. hat Angst um seinen schwarzen Sohn.
Angst, überall, in Europa, in den USA, im
Nahen und Mittleren Osten, immer wieder Angst. Wie schützen wir uns davor?
Auf Staatsebene kann und soll der Staat und seine Behörden seine Bürger durch
strengere Sicherheitsmassnahmen besser schützen. Viel wird über die
Israelisierung der europäischen Städte diskutiert, auf Kosten der «persönlichen
Freiheit». Wir leben seit 15 Jahren mit Sicherheitskontrollen am Eingang vom
Bahnhof, dem Einkaufszentrum, bei Massenveranstaltungen. Nie habe ich dabei das
Gefühl, dass dadurch meine persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Man
wechselt einige freundliche Worte mit dem Sicherheitsbeamten und geht weiter.
So sieht die Israelisierung, oberflächlich gesehen, aus. Natürlich steckt da auch mehr dahinter. In Europa gibt es im öffentlichen Bereich bereits bedeutend mehr
Sicherheitspersonal als vor einem Jahr.
Ein Teil der Angstbearbeitung muss jedoch
von uns selber auf der persönlichen Ebene geleistet werden:
- - Rationalisierung: es gibt viel mehr Unfalltote als Terrortote, die meisten Menschen sterben im Bett, an Krankheiten… Wie viele Terrortote gibt es nun wirklich? Ganz verschwindend wenig.
- - Relativierung: nach dem Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion in Paris habe ich auf FB Posts gesehen, in denen Pariser gefragt wurden, ob sie gesund seien. Irrational? Ja, ganz sicher.
- - Bewusster und relativierter Medienkonsum, mit dem Hintergrundgedanken, uns weniger beeinflussen zu lassen. Wenn die TV-Kameras jede Blutlache bei Autounfällen um die ganze Welt senden würden, ginge keiner mehr auf die Strasse. Und trotzdem setzen wir uns jeden Tag ins Auto oder aufs Fahrrad und setzen uns viel grösseren Gefahren aus.
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Überall Zäune, geschlossene Tore. Auch in Europa wird heute darüber diskutiert. |
Während des 1. Golfkrieges, im Winter 1991,
habe ich Medienwissenschaften studiert. Die Uni war während des Krieges geschlossen.
Die provozierende Frage eines jungen, frechen Lektors nach Ende des Krieges
„So, habt ihr den Krieg genossen?“ hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Was
meinte er damit, der kecke Typ? Die Raketen aus dem Arsenal von Saddam Hussein
haben damals viel Nervenkitzel in unseren Routinealltag gebracht, und so
bringen auch die Bilder von Orlando oder Nizza viel Interessantes in unsere
Wohnzimmer.
UNSERE
Waffen gegen die bärtigen Gesellen des IS, die sich bei jedem Anschlag ins
Fäustchen lachen, sind ein besserer Schutz der Bürger durch den Staat, eine persönliche
Bemühung um eine Relativierung der Angst, sowie ein ganz bewusster, vielleicht
verminderter Medienkonsum.
Und….. trotzdem hinfahren, nach Paris, nach
Istanbul, um zu sehen und zu staunen, dass durch einen Terroranschlag nicht
ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden. Dafür müsste man nach Syrien
oder in den Irak fahren. Dort lernt man wirklich das Fürchten, und von dort
wollen alle nur weg.