Monday, June 5, 2017

Lasst uns Jerusalem unsere höchste Freude sein....

(Oder: Gedanken zum 50. Jahrestag des 6-Tagekrieges.)

Als wir vor vielen Jahren in Jerusalem geheiratet haben, habe ich diesen Spruch für unsere Trauungsanzeige gewählt. Heute, nach 50 Jahren israelischer Besatzung von Jerusalem und der Westbank (oder Befreiung, je nach politischem Blickwinkel), ist der Zeitpunkt für eine Bilanz reif. Ich stelle dazu einige Fragen, an meine israelischen Mitbürger, an den Ministerpräsidenten des Staates Israel, und nicht zuletzt auch an mich selbst.
  
Fragen an meine israelischen Mitbürger, auf der Alltagsebene der Besatzung
Wissen Sie, dass Jerusalem nach 50 Jahren eine de facto geteilte Stadt ist? Durch Mauern, soziale Unterschiede sowie unterschiedliche infrastrukturelle Investitionen, geteilt in West und Ost, in arabische und jüdische Viertel? Ah, Sie waren nie in Ostjerusalem? Natürlich nicht, es ist schliesslich gefährlich dort. Die vereinigte Stadt ist nämlich eine Illusion. 


Im Niemandsland ist auch niemand
 für Müllabfuhr verantwortlich


 
Hand-in-Hand Schule, Westjerusalem,
gepflegte Ambiance für gemeinsames
Lernen, Araber und Juden

Diesseits und jenseits der Trennlinie

 
Klagemauer


Wissen Sie, was es bedeutet, 50 Jahre unter Besatzung und Militäradministration zu leben? Auf Gutdünken ausgeliefert, in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein? Versuchen Sie mal, das alles von der anderen Seite zu betrachten, nicht von der Seite unserer Kinder, die wir als Soldaten an die Checkpoints schicken, um unmögliche Arbeit zu verrichten. Betrachten Sie es von der Seite des Palästinensers, der in Israel arbeitet, weil er etwas mehr verdient in unserem teuren Land, und ab 4.00 früh am Checkpoint ansteht. Stellen Sie sich die Studentin vor, die stundenlang braucht, um an ihre Uni zu gelangen, den Geschäftsmann, der sein Treffen nicht einhalten kann, weil er wieder mal nicht durchgelassen wird, zwischen Nablus und Ramallah.


An der Grenze zum Westjordanland,
zwischen Tulkarem und Bat Hefer.


Checkpoint 300, zwischen Bethlehem
und Jerusalem.
Am Mittag  menschenleer.

Wann waren Sie das letzte Mal an einem Checkpoint, an der Mauer, an einem der Zäune, deren Tore auf Gutdünken geöffnet und geschlossen werden? Der Blick ist unangenehm, das kann ich Ihnen versichern. Einfacher ist es, die nächste Auslandreise zu planen, und ausserdem mit der Illusion zu leben, dass die Besatzung inexistent ist.


Zaun, der die Siedlung Alfei Menasche schützt.


Durchgang neben Alfei Menasche,
zwischen 12-13 Uhr wird er geöffnet.


Wann haben Sie sich das letzte Mal überlegt, dass WIR die Wahl haben, es anders zu machen?


Fragen an den Ministerpräsidenten des Staates Israel, Benjamin Nethanyahu, auf Staatsebene:
Wo bleibt Ihr Demokratieverständnis? Sie waren lange ein überzeugter Demokrat, das war beruhigend. Ihre Koalition, die nicht meine ist, peitscht Gesetze durch die Knesset, die Bürgerrechte und Meinungsfreiheit immer mehr einschränken. Sie richten sich gegen die arabische Minderheit im Staat, die Medien, NGOs, die sich für Menschenrechte einsetzen, Andersdenkende. Sie unterstützen Gesetze, die die Rechte der Siedler im besetzten Westjordanland ausweiten und dadurch die Palästinenser weiter entrechten.

Parlamentssaal, Frühlingspause
Wie ist es möglich, dass Sie sich bisher vor allen Korruptionsvorwürfen schützen können? Überall riecht es nach Korruption: beim Kaufe von deutschen U-Booten, bei den Verträgen zu den Gasvorkommen im Mittelmeer, beim Erhalt von Geschenken von wohlhabenden Freunden. Wer schützt Sie? Der Staatsanwalt, Ihre einflussreichen Freunde, die Yes-Männer, mit denen Sie sich umgeben. Und Ihre eigene Gratis-Tageszeitung verkündet jeden Tag von Neuem: Halleluja Netanyahu.

Sitzung einer Schweizer Gruppe
in der Knesset
Was denken Sie sich genau, wenn Sie wieder mal hetzen? Hetzen gegen die Araber im Staat Israel, gegen die Linken, gegen die Welt und alle ihre Antisemiten, gegen die Medien, die immer weniger relevant sind, da Sie ja seit ewigen Zeiten selbst Kommunikationsminister sind. Hetze kommt immer gut an im eigenen Lager, wenn man sonst nichts zu bieten hat.

Haben Sie irgendwelche Visionen fürs die Zukunft?
Einen jüdischen Staat vom Meer bis zum Jordangraben, mit einer jüdischen Minderheit und einer entrechteten palästinensischen Mehrheit? Annektiert oder nicht annektiert? Oder vielleicht ist die Vision einfach «Netanyahu Forever».


Und zu allerletzt eine Frage an mich selbst:
Warum bleibe ich hier? Die roten Linien, die ich mir gesetzt habe, sind längstens überschritten.
Ich lebe beinahe 40 Jahre in einem Staat, der sich auf Nichtwiedererkennen verändert hat, und manchmal bin ich rat- und heimatlos. Und ich bleibe hier, trotzdem, weil meine Familie hier ist, und weil ich die Hoffnung nicht aufgebe. Etwas regt sich hier. Letzte Woche nahm ich in Tel Aviv an der Demo teil gegen die Besatzung, die ein Land tötet, das ich liebe.

 
Demo, Tel Aviv, Mai 2017
 
Frauen machen Frieden, Oktober 2016

Hintergrundinformation: Ulrich Schmid, NZZ vom 5.6.2017.


Tuesday, May 9, 2017

Gottesgeschenke und Gottesstrafen in biblischen Landen

Das Fazit am Ende der Regensaison in der Region* ist ernüchternd: die Niederschläge betragen 61-70% der durchschnittlichen Jahresmenge, bei überdurchschnittlich hohen Temperaturen. Der nächste Regen fällt erst im Oktober. Aber es geht um viel mehr als nur ein weiteres magers Jahr, es geht um die Existenz von Millionen von Menschen.

Viele kennen die Geschichte aus dem Alten Testament: Pharao, der ägyptische Herrscher, träumt von 7 fetten und von 7 mageren Kühen; die mageren fressen die fetten auf (1. Moses, Kapitel 41). Die Kühe stehen symbolisch für 7 ertragreiche Jahre, auf die 7 Jahre mit schlechtern Ernten und schweren Hungersnöten folgen werden. Unter der Leitung von Joseph sorgt Ägypten vor und entgeht so der Hungersnot.
Im Buche 1. Könige, Kapitel 17 und 18 wird von der grossen Not der Menschen erzählt, von Bächen, die austrocknen, von der Wittwe, die kein Mehl mehr hat und nun verhungern muss.
Auch Jesus, in seinen Reden über die Endzeit, spricht von Hunger. In Matthäus 24, 7, in den Reden über die Endzeit, spricht er: «Denn erheben wird sich Volk wider Volk und Reich wider Reich, und es werden da und dort Hungersnöte und Erdbeben kommen.»

Regen in Sicht,
Nethania, Mittelmeerküste
Die Region des fruchtbaren Halbmondes ist von einem kurzen Winter mit Regen und einem langen, regenlosen und heissen Sommer charakterisiert. Viel Regen im Winter bedeutet eine gute Ernte im Frühling und genügend Wasser in den Quellen, um die lange Trockenzeit zu überleben. Bereits im Altertum haben Menschen vorgesorgt, um nicht alles Gott oder dem Zufall zu überlassen. Davon zeugen die unzähligen Zisternen und Wassersysteme, die in der Region angelegt wurden. Im Buch 2. Chronik 32, 30, wird ein Meisterwerk an Bautechnologie beschrieben: «Hiskia war es auch, der den oberen Ausfluss des Gihon-Wassers zuschütten und dieses nach der Westseite der Davidsstadt hinunterleiten liess.» Dieser Tunnel, 550 m lang, ist begehbar, man watet durch das wunderbar frische Gihon-Quellwasser, der Tunnel wurde vor 2700 Jahren erstellt. Die Kaaaniter hatten bereits Hunderte von Jahre vorher Wasser aus dieser Quelle auf ihre Felder abgeleitet, z.T. durch einen unterirdischen Kanal. Später hat König Herodes der Grosse Wasser aus der Region Bethlehem und Hebron nach Jerusalem abgeleitet, um den wachsenden Bedürfnissen der Stadt zu genügen, über eine Distanz von mehr als 20 km. Das sind nur einige wenige Beispiele.

Eng verkoppelt mit der Hoffnung auf genügend Regen ist der Glaube an Gott, den belohnenden oder strafenden Gott. Jesaja 44, 3: «Denn ich (der Herr), giesse Wasser auf durstiges Land und rieselnde Bäche über das Trockene.»
Der Prophet Elia, in seiner Auseinandersetzung mit König Ahab, dem Herrscher von Israel, wirft dem König vor: «Nicht ich habe Israel ins Verderben gestürzt, sondern du und dein Geschlecht, weil ihr den Herrn verlassen habt und den Baalen nachgelaufen seid.» 3 Jahre lang fällt kein Regen, eine schreckliche Strafe Gottes (1. Könige, Kapitel 18, 18).

Dezember 2016 - Nach dem Regen bilden
sich in der Küstenebene grosse Pfützen  
Messlatte im See Genezareth
Im Herbst 2016, vor Beginn der Regenzeit, war ich mit Salim, dem palästinensischen Busfahrer, unterwegs. Die Meerzwiebeln, die Herbstblumen, blühten in grossen Mengen. Er stammt aus einer Beduinenfamilie und hat mir nach einer alten Bauernregel vorausgesagt, dass der Winter gut sein wird, weil viele Meerzwiebeln blühen. Den ganzen Winter habe ich mich an diese Hoffnung geklammert. Nach verheerenden Waldbränden Ende November hat es den ganzen Dezember geregnet. Januar und Februar waren trocken. Und nun, im Mai, ist das Fazit ernüchternd: 61-70% der durchschnittlichen Jahresmenge, abhängig vom Standort, mit überdurchschnittlich hohen Temperaturen. Dem See Genezareth fehlen Ende Regenzeit bereits 4.16 m Wasser, der Pegel des Toten Meeres sinkt jedes Jahr um weitere 1.2 m.

Wasserröhren - allgegenwärtig
auf allen Feldern
Israel geht es wirtschaftlich ausgezeichnet, und der Staat investiert viel in Wasserinfrastruktur. Wir entsalzen Meerwasser, wir benutzen das aufgeklärte Abwasser ein zweites Mal, indem es auf die Felder geleitet wird, jede Quelle wird angezapft. Überall werden Wasserreservoire gebaut, jede Pflanze auf jedem Feld kriegt, genau abgemessen, die richtige Menge Wasser, über Tropfschläuche oder Sprinkler, eine unglaubliche Leistung. Aber, die Niederschläge liegen seit Jahren unter dem Durchschnitt.
Bewässerungssystem im Hulatal

Wir hoffen nun wieder auf den nächsten Winter, wie jedes Jahr. Vielleicht belohnt uns der biblische Gott nächstes Jahr und füllt den See endlich wieder? Oder erwärmt sich die Erde nun doch? Die Grenze zur Wüste liegt nahe, jede noch so kleine Veränderung des Klimas wirkt sich sofort aus, die Wüste ist auf dem Vormarsch, von Süden und von Osten her.

Forscher sagen, dass der Bürgerkrieg in Syrien sehr eng mit dieser klimatischen Änderung zusammenhängt. Aber das ist eine andere Geschichte, oder vielleicht auch nicht. Millionen von Menschen hoffen hier jeden Winter auf Regen, als Gottesgeschenk, Gott jedoch scheint die Region zu strafen. Fragen Sie mal den neuen Präsidenten der USA, ob es eine Klimaveränderung gibt, der weiss alles besser.

Draussen messen wir heute 35 Grad.

* Der Ausdruck Region is grenzübergreifend und betrifft die Länder im östlichen Mittelmeer: Libanon, Syrien, Jordanien, Israel und die Palästinensischen Gebiete.








  Alte Zisterne, Region Sharon
 Pelikane in Wasserreservoir