Mitte Januar habe ich meinem Ehemann Chaim eine whatsapp Nachricht weitergeleitet. Ein israelischer Arzt beschreibt da, dass die geimpfte Bevölkerung des Staates Israel, in Zusammenarbeit mit Pfizer, die den Impfstoff geliefert haben, an einer «post approval study» teilnimmt. Unten die Antwort von Chaim:
Übersetzt:
ich bin ein glückliches Versuchskaninchen
Zuerst
waren es nur Gerüchte, nach den Informationen über den Sozialmedien ist es
jetzt in den öffentlichen Medien und vom Gesundheitsministerium offiziell
bestätigt worden, der Vertrag kann online gelesen werden, ein 20-seitiges
Dokument. Pfizer und das Gesundheitsministerium des Staates Israel haben einen
Vertrag ausgehandelt, in dem medizinische Daten der geimpften Bevölkerung zur
Auswertung an Pfizer weitergegeben werden. Datenschutz? Privatspäre? Helskinki Ausschuss
für Menschenrechte? https://govextra.gov.il/media/30806/11221-moh-pfizer-collaboration-agreement-redacted.pdf
Achselzuckend
meint meine gewöhnlich sehr kritische Nachbarin: «Das ist mir egal, das sind
anonyme Daten. Ich will mich endlich wieder frei bewegen können.» Wir sitzen
nämlich im 3. Lockdown, beginnen die 5. Woche, glaube ich, aber wer zählt
überhaupt noch?
Israel hat
prozentual weltweit am meisten Menschen geimpft, eine imposante Leistung, auch
in den ausländischen Medien viel und anerkennend diskutiert. Ein etwas anderes
Gesundheitssystem, viel Improvisationsgeist und ein unglaublicher Einsatz von
Menschen im Gesundheitswesen haben dies ermöglicht. Dieses «etwas andere»
Gesundheitssystem sieht so aus: es gibt 4 HMOs (Health Maintenance
Organisations, übersetzt «Organisationen zur Erhaltung der Gesundheit»). Diese
Organisationen sind Überreste aus den sozialistischen Anfängen des Staates, die
sich durch Gesetzgebung und Wettbewerbssituation zu sehr effizienten
Organisationen entwickelt haben. Seit den 90er Jahren sind alle Staatsbürger per
Gesetz Mitglied einer HMO. Die Finanzierung wird über die Nationalversicherung abgewickelt,
die die Beiträge vom Bruttoeinkommen (3.1% - 5%, je nach Einkommen) abzieht,
und je nach Grösse der Mitgliederzahl, an die HMOs weiterleitet.
Per Email zugeschickt: Werbung für Impfkampagne
Praktisch sieht das so aus: wir wohnen in einem Dorf, da gibt es eine kleine Krankenstation der grössten HMO. Im Nachbardorf, etwas grösser, haben alle 4 HMOs ihre Krankenstationen, mit Haus- und Kinderarzt, Krankenpfleger, interne Apotheke, und 1-2 Mal in der Woche verschiedene Spezialärzte. In der 6 km entfernten Stadt Nethania kriegt man umfassende Dienstleistungen rund um die Gesundheit. Diese sind prinziell kostenlos, auch der Krankenhausaufenthalt. Für Medikamente sowie besondere Dienstleistungen bezahlt man ein kleines Aufgeld.
Das Gesetz
ermöglicht bedingungslosen Wechsel von einer Organisation zur anderen, ohne
irgendwelche wenn und aber. Diese Wettbewerbssituation hat dazu geführt, dass
alle HMOs versuchen, neue Kundschaft durch gute Dienstleistungen anzuwerben.
Dazu gehört u.a. eine umfassende Digitalisierung des Gesundheits- und
Krankengeschichte jedes Versicherten. Ich kann meiner persönlichen Hausärztin
via HMO App schreiben, Medikamente bestellen, Blutuntersuche der letzten Jahre
vergleichen, Arzttermine vereinbaren. Es wird viel in präventative Vorsorge
investiert, ich erhalte SMS mit Aufruf für eine Mamografie, Grippeimpfung,
Blutteste, etc. Seit 20 Jahren werden systematisch alle Daten gespeichert.
Die HMOs spielen in der Corona-Impfung eine sehr zentrale Rolle, in der Organisation der Impfkampagne selber und eben auch beim Weiterleiten der Daten an Pfizer. Meine Freundin in Tel Aviv erzählt mir, dass sie im Parkhaus eines Einkaufszentrums geimpft wurde, Stockwerk Minus Eins. Das ist israelische Improvisation. Das Einkaufszentrum ist wegen Corona geschossen, warum also nicht?
Impfstation auf Stockwerk Minus Eins,
Parkhaus des Einkaufszentrums
Verschiedene Dinge haben Pfizer veranlasst, Israel als Versuchskaninchen* auszuwählen:
- die oben beschriebene Effizienz der HMOs
- die Existenz einer grossen Datenbank und die Bereitschaft, diese digitalen Daten weiterzuleiten
- ein kleines Land mit guter Logistik zur Verteilung des Impfstoffes, der bei -70 Grad gelagert werden muss
- eine vielfältige Bevölkerung, die sich für eine umfassende Studie eignet
Offenbar
haben wir auch etwas mehr für den Impfstoff bezahlt, aber was bedeuten diese
Zahlen im Vergleich zur Lockdown-Wirtschaft mit 1 Million Arbeitslosen, geschlossenen
Geschäften, Restaurants und Schulen, kollabiertem Kulturwesen und Tourismus, eingeschlossenen Menschen,
überlasteten Krankenhäusern? Wie sagen die Amerikaner: those are peanuts.
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15-minütige Wartezeit nach der Impfung |
* Kleiner Auszug aus dem Vertrag zwischen Pfizer und dem israelischen Gesundheitsministerium:
WHEREAS, the Parties agree that it
would be highly beneficial from a public health perspective to track pandemic
data in accordance with vaccination compliance in a Real-World context to
evaluate whether herd immunity protection is observed during the Product
vaccination program rollout.