Sunday, December 21, 2014

Unterwegs auf Schwil Israel

Israelpfad, von Beer Sheva bis Sde Boker
Heute will ich Euch von einer Wanderung erzählen, die ich jetzt im Dezember durch dieses erstaunliche Land gemacht habe. Israel besitzt viele Wanderwege, die zum grossen Teil gut markiert sind. Der längste Wanderweg ist der Israel Nationalpfad, oder wie wir ihn liebevoll auf Hebräisch nennen – der Schwil Israel. Seine Gesamtlänge ist mehr als 1000 km, und er führt von den nördlichen Mittelmeerwäldern im Galiläa via Tel Aviv und Jerusalem durch die Negevwüste nach Eilat. 2 Monate dauert die ganze Wanderung. http://www.israeltrail.net/

Ich durfte mich einer Gruppe anschliessen, die den ganzen Pfad wandert, bin 8 Tage mitgewandert, von der Region Beer Shewa über Arad bis zum Kibbutz Sde Boker, wo der erste Ministerpräsident des Staates Israel seine letzten Jahre verbrachte, und ich, wenige Jahre später, meine ersten Monate in Israel als Volontärin.

Kühle, lange Nächte im Dezember im Zelt, Regen in der Wüste, Nächte mit hoher Luftfeuchtigkeit, das waren die dunklen Seiten dieser Wanderung. Aber nicht davon will ich Euch erzählen, sondern von der Wüste, ihren Menschen, den unglaublichen Landschaften, den Überraschungen.

Beer Shewa und Arad liegen am Rande der Wüste, dort ist es noch etwas grün, und da wohnen auch Beduinen, die zwar nicht mehr herumziehen, aber ihre Herden das spärliche Grün abrupfen lassen. Die arbeitslosen jüdischen Neueinwanderer der 1950er Jahre haben hier im Rahmen der Arbeitsbeschaffung einen riesigen Wald anpflanzt, ein grüner Fleck in der immer karger werdenden Landschaft.

Am Rande der  Wüste, Yatirwald

Arad war zu biblischen Zeiten ein Militärstützpunkt gegen einfallende Stämme aus dem Süden, heute bilden alteingesessene Israelis, russische Neueinwanderer und orthodoxe Juden eine eigenartige Bevölkerungsmischung. Im Stadtzentrum werden neben einem aufgeblasenen Plastikschneemann Weihnachtsdekorationen verkauft, in einem Land, wo eigentlich nicht Weihnachten gefeiert wird, und die orthodoxen Juden bereiten sich eilig auf den Schabbat vor.
Tag der Ruhe in Arad, mit Sharon, der
Hündin Luka und dem Plastikschneemann
Eine Kamelherde: Luka muss an die Leine 

Morgennebel und Wassertümpel in der Wüste!
Südlich von Arad betreten wir das "Kraterland", eine einmalige Landschaft, die es nur in den Wüstengebieten rings um den Jordangraben gibt, in Israel, Jordanien und der Sinaihalbinsel. Die Erosion der Wüstenflüsse, in Zusammenhang mit dem tiefen tektonischen Jordangraben, haben hier eigenartige Krater gebildet und grosse Löcher in die Landschaft gerissen. Schwil Israel führt hier auf und ab, in den kleinen Krater hinein und dann wieder hinaus (der Höhenunterschied zwischen dem Grunde des Kraters und dessen Rändern ist 300 m). Nein, es sind nicht Löcher, die von Meteoren aufgerissen wurden, es ist eine geologische Laune der Natur, und der Schwil ist so geplant, dass man den Krater von allen Winkeln aus betrachten kann. Ein ausgezeichnetes Fitnesstraining.

Blick in den kleinen Krater
Wir verlassen den kleinen Krater

Einen ganzen Tag kraxeln wir über die Ränder des grossen Kraters, wir Wanderer befinden uns genauso in der Schieflage wie die riesigen, von unterirdischen Erdkräften aufgestellten Kalkschichten. Diese Tageswanderung gilt als die schönste und anspruchsvollste des ganzen Schwils und eignet sich nur für Schwindelfreie. Eine gewaltige Landschaft.



In Schieflage am Rande des grossen Kraters

Zwischen diesen Höhenpunkten wandern wir gemächlich durch weite Ebenen, über sanfte Hügel, durchqueren meist trockene, zum Teil tiefe Flussbette. Und doch, vielerorts glitzert Wasser in Tümpeln, Überreste des seltenen Wüstenregens, der uns hier erfreut hat. 

Immer wieder kommt der Gedanke an die Wüstenkarawanen hoch, die während Tausenden von Jahren wertvolle Güter durch diese unwirtlichen Landschaften geführt haben, Weihrauch aus Arabien nach Gaza und Rom, Gewürze nach Damaskus und Bagdad. Sie zogen von einem Wasserloch zum nächsten, übernachteten in einfachen Karawansereien. Auf uns wartet am Abend der Vierradantrieb mit heissem Kaffee und Tee, Suppe und herrlichem Abendessen, wir stellen unsere Zelte auf und bereiten uns auf die nächste lange und kalte Nacht vor.
Dieses Land war früher einmal vom Meer überflutet, wir finden
Versteinerungen von Schnecken und grosse Muschelansammlungen

Zeltlager bei Sonnenaufgang

Wegmarkierungen im Zintal

Chanuka (das jüdische Lichterfest) in der Wüste
Und die Wüstensteinböcke beobachten uns, neugierig, aus sicherer Distanz. 
2 Steinböcke, oben dem Grat, in der Mitte des Bildes.


Thursday, November 27, 2014

Kopfbedeckungen, Kopfbedeckungen

In Europa wird viel über Kopfbedeckungen und Verschleierung diskutiert. Hier werden sie einfach getragen, von Muslimen, Juden und frommen Christen. Lasst Euch überraschen und geniesst diese Eindrücke aus Jerusalem.


Musliminnen









Muslime





Fromme Christinnen auf Pilgerschaft

 
Weihnachten



Nonnen in festlicher Tracht

 
Christlicher Pilger
 
Priester
 
Griechisch-orthodoxer Würdenträger


 
Wächter in der Grabeskirche



 
Kippa und Sonnenbrille
 
Schwarze Kippa und Schläfenlocken
 
Welche Kippa ist gefällig? Bayern München, Maccabi Tel Aviv?


 
Jüdische Kopftücher: Alltag auf dem Markt
 
Feiertag an der Klagemauer













Chic und chicer!! Warum also all diese Diskussionen über Kopfbedeckungen? Unsere Grossmütter haben auch sonderbare Hüte getragen. 

Monday, October 13, 2014

Von Zur Mosche nach Kastorià und zurück

Am Stadteingang von
Kastoria, Oktober 2014
Kastorià liegt im Nordwesten von Griechenland, nahe der albanischen Grenze, wunderschön an einem See, umgeben von Bergen und Wäldern.
Zur Mosche heißt der Moschav (genossenschaftliche Siedlung), in dem wir seit 14 Jahren leben.

Gleich zu Anfang, als wir mit der ganzen Familie im Herbst 2000 nach Zur Mosche zogen, machte ich Bekanntschaft mit einem der Gründer des Moschav, Mosche Chuli, einem damals noch rüstigen, gut 80-jährigen Mann. An so manchem Freitagvormittag setzte ich mich zu ihm und seiner Frau Simcha und erfuhr jede Menge Geschichten aus den alten Zeiten. Er erzählte mir von den Gründerjahren des Moschavs im Jahre 1937, von den harten Zeiten, vom Krieg gegen die arabischen Freischärler, vom Mangel an Wasser, Essen, Lohnarbeit, Geld. Immer wieder schweiften die Gedanken von Mosche zurück nach Griechenland. Dort waren sie aufgewachsen: Mosche in Thessaloniki, Simcha in Kastorià.

Zur Mosche ist das einzige Dorf in Israel, das von Juden aus Griechenland gegründet wurde. In den ersten Jahren nannte ich Zur Mosche im Stillen manchmal „mein griechisches Dorf“. Damals gab es hier Festlichkeiten mit griechischer Musik und griechischem Essen, und Großvater Russo sang jeweils nach einigen Gläschen Uzo griechische Liebeslieder und betonte immer wieder, Griechisch sei die schönste Sprache der Welt und nur in ihr könne man die Liebe zu einer Frau ausdrücken. Das war vor 10 Jahren, und seither hat sich viel verändert. Das Dorf ist gewachsen, die Gründergeneration ist gestorben, und Großvater Russo fährt nicht mehr mit seinem klapprigen Auto durchs Dorf.

An diesem Ort, am 24. März 1944, sammelten die Nazis
1000 Juden von Kastoria und deportieren
sie in die Todeslager von Auschwitz.
Nur 35 Überlebende kehrten zurück. 
Letzte Woche reisten wir auf den Spuren der griechischen Juden nach Kastorià und Thessaloniki. Im März 1944 waren alle Juden von Kastorià, 1000 an der Zahl, nach Auschwitz deportiert worden, 35 kehrten zurück und wanderten wieder ab. Außer einem Denkmal in griechischer und englischer Sprache erinnert nichts mehr an diese Gemeinde.
Wir zünden 2 Kerzen an und denken an die Geschichten von Mosche und Simcha Chuli. Bei einer Fahrt durch die weiten Berge und Wälder frage ich mich immer wieder: „Warum? Warum nur sind die Menschen nicht in die Berge geflüchtet damals? Sie waren doch so nahe". Man sagt uns, hier in Kastorià lebt nur noch ein einziger Jude.


Die 49.000 jüdischen Bewohner von Thessaloniki wurden 1943 nach Polen deportiert, 97% von ihnen kehrten nie zurück. Auch das bringt mir eine persönliche Geschichte in Erinnerung, die Großvater Russo an einem Shoahgedenktag in Zur Mosche erzählt hat. Er hatte den Krieg als Partisan im Süden Griechenlands überlebt, bevor er in sein Dorf in Nordgriechenland zurückkehrte. „Und alles war leer, LEER! Niemand kam zurück. Und so ging ich dann nach Palästina.“ In ganz einfachen Worten hat er das erzählt, und ich habe es nie vergessen.

Bevölkerungsentwicklung Thessalonikis nach ethnisch-religiösen
Gruppen, von 1500 - 1950.
Quelle: Wikipedia.
Thessaloniki war ab dem 16. Jahrhundert eine blühende Handelsstadt mit zeitweilig mehrheitlicher jüdischer Bevölkerung – spanische Juden, während der Inquisition ausgewiesen und im osmanischen Reich willkommen geheißen. Die Besonderheit der Juden von Thessaloniki liegt in ihrer einzigartigen Mitwirkung in allen wirtschaftlichen Nischen: ihre Präsenz und ihr Engagement beschränkten sich nicht auf einige wenige Bereiche, vielmehr waren sie in allen Wirtschaftszweigen, in allen Schichten der Gesellschaft  vertreten, von Trägern im Hafen bis hin zu Kaufleuten. Es gab in Thessaloniki auch eine große Anzahl jüdischer Fischer – nicht gerade ein typischer Beruf für Juden.

Im unteren Teil dieses Fotos, aufgenommen im jüdischen Museum
in Thessaloniki, sind Mitglieder der Familie Chuli (hier Huli)
aufgelistet, die von den Nazis ermordet wurden.
Und heute? Eine Gemeinde von gerade mal 1000 Juden. Im überwachten jüdischen Museum erklärt man uns, die Synagoge sei sehr schwer zu finden, man müsse durch einen Hauseingang in einen Hinterhof gehen, die Synagoge liege im Keller, Hinweisschilder gebe es keine. Hitler hat gründliche Arbeit geleistet, damals, und heute versteckt man die Synagoge lieber – aus Angst vor Extremisten verschiedenster Couleur.


Ich mag Griechenland sehr, aber die Suche nach jüdischen Spuren stimmt nachdenklich, hält sie uns doch die Vernichtung jüdischen Lebens in Europa wieder einmal allzu deutlich vor Augen. So kehre ich am Ende unserer Reise gerne wieder zurück in mein „griechisches Dorf“, auch wenn es so griechisch gar nicht mehr ist. Das Judentum jedoch lebt hier weiter.

  

Saturday, July 26, 2014

Abgetaucht

Letzte Woche habe ich den neuen Marco Polo Reisekatalog fürs Jahr 2015 erhalten. Im Reiseangebot für Israel wird Tel Aviv als quicklebendige Stadt beschrieben. Das ist sie auch, während normalen Tagen, und dies ist das Land, das ich so sehr liebe, dieses Land mit seiner übersprudelnden Dynamik und Energie, seiner Fröhlichkeit und Spontaneität.

Flughafen Ben Gurion Juli 2014
Aber seit Wochen, seit dieser neue Schlagabtausch mit der Hamas im Gazastreifen begonnen hat, sind alle Menschen abgetaucht. Es sind Tage, an denen wir alle den Kopf hängen lassen, Tage der Depression, Tage eines nahezu komatösen Zustandes. Die Strassen sind wenig belebt, und wer herumgeht, schweigt. Es gibt keinen Lärm, kein Geschrei, die Ladenbesitzer sitzen untätig in ihren Geschäften herum und widmen sich vor allem den Nachrichten, schliessen früher als gewöhnlich. Es gibt viele Menschen, die Angst haben vor den Raketenangriffen und lieber zuhause bleiben. Unserer aller Gedanken weilen bei den Menschen im Süden, bei unseren Soldaten, bei den Menschen in unseren Dörfern und Städten, die seit Wochen von Raketen beschossen werden, Menschen, die 10-30 Sekunden Zeit haben, um einen Schutzraum aufzusuchen. Wer differenzierter mit dem Konflikt umgehen kann, und nicht nur das Recht auf Verteidigung auf der israelischen Seite sieht und die Schuld der Hamas auf der anderen Seite, kann auch mit den schutzlos ausgelieferten Menschen im Gazastreifen mitfühlen, den Hauptleidenden dieser Tragödie, hilflos unserer Armee und der verantwortungslosen Hamas ausgeliefert, die sich nicht um ihre eigene Zivilbevölkerung schert.

Ab und zu stelle ich den Fernseher an, sitze kopfschüttelnd davor und stelle nach wenigen Minuten wieder ab. Ich verstehe die Welt nicht, wenn die Waffen sprechen, und werde sie auch nie verstehen. Gleichzeitig entwickle ich einen neuen Wortschatz, den ich jeweils gleich wieder vergesse, wenn der Spuk vorbei ist: ballistische Raketen, das Raketenabwehrsystem Eisendom, diese wunderbare israelische Erfindung, die einen Grossteil der Raketen über unseren Städten abfängt. Panzer, Bunker, Tunnels, Angriffe der Luftwaffe, Einschläge, Mörser sind einige weitere Blüten dieses erneuerten Wortschatzes. Ich lerne neue Raketennamen kennen, und ich weiss sogar ihre Herkunft, z. Bsp. F-160, Reichweite von Gaza bis Haifa, 160 km, ein syrisches Produkt. Dieses Produkt löst in unserem ruhigen Dorf mehrere Male einen Luftalarm aus. Unser Haus liegt 100 m von der Sirene entfernt, der Lärm ist schrecklich, die Rakete schlägt in 15 km Entfernung auf offenem Gelände ein.

Luftalarm in Tel Aviv. Ich sitze mit einer Bekannten in einem Kafi, wir begeben uns ins nächste Gebäude, gleich nebenan, gemeinsam mit Bewohnern und Passanten. Die meisten begeben sich in den Luftschutzkeller, ich bleibe lieber im Treppenhaus sitzen, geschützt von 3 Wänden, wo ich mich belehren lasse, dass Raketenteile auf dem Boden landen und von da auf alle Seiten fliegen. Aus diesem Grund muss man sich irgendwo unterstellen, wo man von Mauern geschützt ist, oder sich flach auf den Boden legen, damit die Teile über den Körper hinweg fliegen. Nach zwei Minuten hören wir zweimal einen lauten Bumm über der Stadt, das Raketenabwehrsystem hat die Raketen in der Luft aufgefangen, und wir setzen uns wieder ins Kafi.

Wie können sich die Menschen in Gaza schützen? Gar nicht, nur "Ausgewählte", die Hamasbonzen, verschanzen sich in Bunkern.

Eingang in Luftschutzraum in Tel Aviv
Menschen reagieren sehr verschieden auf Bedrohungen. Eine Freundin von mir, Gärtnerin von Beruf, erzählt mir, dass eine ältere Kundin in Tel Aviv ihre Blumen nicht mehr giesst, weil sie Angst hat, sich draussen aufzuhalten. Ich besuche eine weitere Freundin, alleinerziehend mit 2 kleinen Kindern. Seit Wochen hat sie ihre Stadt nicht verlassen und schläft mit den Kindern im Luftschutzraum. Die Kinder finden das natürlich toll, sie jedoch tut sich schwer mit der grossen Verantwortung.

Mit unseren Kindern verabreden wir ein Picnic am Meer in Tel Aviv. Auch hier ist es viel viel ruhiger als gewöhnlich. Die Muslime aus Jaffa, die sonst die späten Nachmittagsstunden und Abende am Strand verbringen, feiern Ramadan, lange und heisse Fastentage, von Sonnenaufgang bis –untergang. Vielleicht fürchten sie sich auch vor den Hamasraketen,  die differenzieren nämlich nicht zwischen Juden und Arabern. Beim Luftalarm flüchte ich mit einem Teil der Familie zu einem Unterstand, der andere Teil der Familie guckt sich das Schauspiel an: zwei Raketen, die vom Eisendom abgeschossen werden. Ich finde das unklug.

Zynisch nenne ich mich arbeitslose Reiseleiterin. Alle Sommerreisen sind storniert, die Herbstsaison wird sehr schwach werden, obwohl bereits um einen Waffenstillstand gerungen wird. Eine ernüchternde Bilanz. Wirtschaftliche Konsequenzen sind ein weiterer Teil dieser ganzen Sinnlosigkeit.

Bald werden wir wieder auftauchen, in Israel und im Gazastreifen, wir werden die Wunden lecken, um die Toten trauern, und uns auf die nächste Runde vorbereiten. So wird uns das verkauft – es gibt keinen Ausweg, die andere Seite will nicht. Immer sind die anderen schuld, so einfach ist das.


Wenn Kriege immer unentschieden enden, so habe ich irgendwo gelesen, lehnt sich die Bevölkerung schlussendlich dagegen auf, weil sie den Sinn der Opfer nicht einsieht. Vielleicht sind wir jetzt endlich so weit?

Monday, July 7, 2014

Gesucht wird - Goethe's Hexenmeister

In der Schule haben wir nicht wenig Gedichte gelernt, die meisten habe ich vergessen, nur der Zauberlehrling von Goethe ist mir gegenwärtig. Der Hexenmeister ist ausgegangen und hat seinen Lehrling beauftragt, Wasser für ein Bad zu holen, vom Fluss. Der aber ist zu faul, will sich auch in der Kunst des Zaubern üben und befiehlt dem alten Besen in der Ecke, das Wasser an seiner Stelle zu holen.

Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
 Zu dem Bade sich ergieße.

Entführt und ermordet: Eyal, Gilad, Naftali, Mohammed.


Vor 3 Wochen wurden 3 jugendliche Israelis, Eyal, Gilad und Naftali, an einer Kreuzung des Siedlungsgebietes Gush Etzion im Westjordanland, westlich von Hebron, gekidnappt. Eine berührende Eigenschaft der israelischen Gesellschaft ist das Zusammengehörigkeitsgefühl in schweren Tagen. Eine ganze Nation hat diese jungen sympathischen Menschen umarmt, adoptiert, man hat gebetet und gehofft, dass man sie lebend wieder findet. In allen Medien, von Tel Aviv bis New York waren sie allgegenwärtig, auf den Bahnhöfen wurden Flyer verteilt, an der Klagemauer in Jerusalem wurde gebetet, auf dem Rabinplatz in Tel Aviv, dem traditionellen Ort der linken Demonstrationen, gab es eine Kundgebung. Das Ganze entwickelte sich zu einer überspannten Massenhysterie, derer man nicht entfliehen konnte oder auch nicht wollte.

Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.

Die meisten israelischen Politiker, die ganze Mitte-Rechts- bis sehr-Rechts-Regierung, sie alle haben keine Chance ausgelassen, diese traurige Angelegenheit politisch und militärisch auszuschlachten, von fragwürdigen Gesetzgebungen, die im Schnellverfahren in der Knesset verabschiedet wurden bis zu massiven Verhaftungen von Hamasmitgliedern im Westjordanland. Und aufs Feuer der nationalen Massenhysterie wurde immer neu Öl gegossen. Man zählte die Tage seit der Entführung, die antiarabischen Bemerkungen schlugen besonders hohe Wellen, die Hamas wurde ebenso beschuldigt (zu Recht, die Entführer sind Mitgleider einer Hamaszelle in Hebron) wie Mahmud Abbas die Verantwortung zur sicheren Heimkehr der drei Jugendlichen aufgebürdet.

Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Und dann kam die grosse Ernüchterung, die Leichen wurden gefunden, kurz nach der Entführung bereits erschossen. Eine Nation in Trauer, es sind ja unserer aller Kinder, Tränen, Kerzen, Gedenkfeiern, eine Bestattung mit drei Särgen, auf allen Fernsehsendern übertragen. Nur auf dem arabischen Fernsehkanal wurde die WM übertragen - Argentinien-Schweiz.

Aber auch - eine Nation in Wut, die zur Rache an den Palästinensern, zur Todesstrafe für Terroristen aufruft, Extremisten, die einen Rachefeldzug durch die Weststadt von Jerusalem auf der Suche nach Arabern machen, die dort in Restaurants arbeiten und von der Polizei beschützt werden müssen. Raketen aus Gaza, Vergeltungschläge unserer Luftwaffe, und dann wird ein arabischer Jugendlicher, Mohammed aus dem Ostjerusalemer Viertel Shoafat, tot in einem Wald in der Weststadt gefunden. Die Polizei ermittelt, aber nach wenigen Tagen ist so gut wie sicher, dass er von Juden verschleppt und ermordet wurde.

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen!

Und jetzt, nachdem der Besen immer mehr Wasser ins Haus gebracht hat, die Raketen im Süden immer noch einschlagen, arabische Jugendliche und die Polizei sich Strassenschlachten liefern in Jerusalem, die Spannung auch in den arabischen Siedlungsgebieten im Norden und im Zentrum des Landes spürbar ist, und Vermutungen über eine eventuelle dritte Intifada angestellt werden? Wie lautet der Befehl, den Besen wieder in die Ecke zu stellen?

Ach, ich merk es! Wehe, wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Eine verantwortliche Regierung hätte die Gemüter bereits in den ersten Anfängen beruhigen und die Stimmung nicht immer mehr aufheizen sollen. Der Kopf dieser Regierung, Ministerpräsident Netanyahu, ist eigentlich kein Zauberlehrling mehr, nach beinahe 10 Jahren im Amt sollte er ein ausgereifter Meister seines Faches sein, er hat jedoch kräftig mitgemischt und die Stimmung mitdirigiert.

Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist gross!
Die ich rief, die Geister,
werd ich nun nicht los.

Wer ist nun, in dieser neuen Version des israelisch-palästinensischen Dramas, der alte Meister, der den Besen wieder in die Ecke stellt? Ich weiss es nicht.

In die Ecke
Besen, Besen!
Seids gewesen,
denn als Geister
ruft euch nur zu seinem Zwecke

erst hervor der alte Meister

Thursday, June 5, 2014

Syrien im Blickfeld

Wir verbringen ein verlängertes Wochenende in Madj AlSchams, dem grössten der vier Drusendörfer auf den von Israel 1982 annektierten Golanhöhen. Wunderbar ist die geografische Lages des Dorfes zu Füssen des Hermongebirges. Wir haben uns bei einer Drusenfamilie eingemietet, geniessen die Aussicht auf die Berge und das breite Tal unterhalb des Dorfes, das von Apfel- und Kirschenplanatagen bewachsen ist. Eben fängt die Kirschenernte an, also eine geschäftige Zeit. Hoch oben über dem Dorf jedoch herrscht Ruhe, nur das Dauersummen des Verkehrs ist zu hören, und sporadische Gewehrsalven von der "anderen Seite". Der elektronische Zaun entlang der Waffenstillstandsslinie verläuft gleich hinter dem Dorf. Dann gibt es wenige Kilometer Niemandsland, und dann kommt Syrien.

Madj AlSchams hat mehr als 10,000 Einwohner und bildet das drusische Zentrum in den Golanhöhen; es ist eher eine Kleinstadt mit vielen Kleidergeschäften, Banken, Kranken- und Zahnarztkliniken, 2 Hotels und einer schönen Anzahl Restaurants. Wir schlendern durch das Dorf und kommen in den Genuss einer weiteren Fazette dieser  multikulturellen Region im östlichen Mittelmeerraum. Auf einem Verkehrskreisel des Dorfes findet, 4 Tage vor den Präsidentschaftswahlen in Syrien, eine fröhliche Wahlkampagnie für den amtierenden Präsidenten von Syrien, Baschar Assad statt, den Mann, der für die bisher 160,000 Toten des Bürgerkrieges und für die Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge in Syrien verantwortlich ist. Fahrzeuge mit syrischen Flaggen und lauter Musik fahren durchs Dorf, auf der Verkehrsinsel mit Statue werden Fahnen geschwenkt, es wird ein Kreis gebildet und zur Musik getanzt. Es herrscht eine durchaus entspannte und fröhliche Stimmung, wie bei einem Volksfest. Trotzdem wage ich es nicht zu fotografieren.
Heimlich fotografiert - ein parkierendes
 Fahrzeug in Madj AlShams

Wir führen ein langes Gespräch mit einem jungen Dorfbewohner. Ein Teil seiner Familie lebt in Syrien, in einem Dorf in der Nähe von Daara, im Süden Syriens. "Es geht ihnen gut", sagt er am Anfang. Aber dann kommen weitere Details hinzu: "Sie haben viele Flüchtlinge aufgenommen. Die Strassen sind zerstört und die Versorgung ist nicht immer gewährleistet..... aber die Regierung hilft, wo sie kann." Und auch: "Alle Zeitungen lügen, Assad liebt sein Volk."

Die Drusen sind eine ethnisch-religiöse Minderheit, gebildet im 11. Jahrhundert, und seither vor allem vom Islam, von dem sie sich abgesondert haben, verfolgt. Überlebt  haben sie, weil sie an schwer zugänglichen Orten leben, und weil sie sich immer mit der jeweiligen Regierung gutstellen. Die 5-6 Millionen Drusen verteilen sich über Syrien, Libanon, die Türkei, Israel und Jordanien. In Israel leisten die drusischen Männer obligatorischen Militärdienst. Hier in den annektierten Golanhöhen, wo in der Vergangenheit ab und zu geheime Verhandlungen zwischen Israel und Syrien stattfanden, ist Loyalität eine schwierige Sache. Loyalität dem Staat Israel gegenüber, wenn die Golanhöhen morgen zurückgegeben werden? Oder doch lieber mit dem Mörder auf der anderen Seite des Grenzzauns, nicht zuletzt, um die eigene Familie im Dorf nebenan Daara zu schützen?

Unser Zimmervermieter distanziert sich vehement von Assad und seinen Befürwortern. "Denkt nur ja nicht, dass alle hier Assad unterstützen", sagt er uns. Er zitiert Platon und vergleicht diese Befürworter mit Eseln, die nicht denken können. Er erzählt uns von seinem Bruder, der in Syrien Medizin studierte und jetzt mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet ist. Die Familie verkauft Grundstücke im Dorf, damit der Arzt sich in Deutschland eine neue Existenz aufbauen kann. Unser Zimmervermieter erzählt uns das alles ohne die landesüblichen Emotionen, ohne jede Verbitterung. Man arrangiert sich eben mit den Gegebenheiten.
Eine Gruppe Drusen in traditionell-religiöser Kleidung

Irgendwann wird es wieder Diskussionen über eine Rückgabe der Golanhöhen geben. Bis es so weit ist, arbeiten die Drusen hier fleissig, produzieren herrliche Kirschen und Äpfel, man bildet sich (500 Mediziner und 100 Anwälte gebe es im Dorf), und die junge Generation hat sich sehr weit von der traditionellen Lebensweise entfernt. Junge Frauen in hautnahen Jeans und schulterfreien Shirts beherrschen das Strassenbild. Traditionelle Kopfbedeckungen gibt es nur noch bei der Grosselterngeneration. Hier bewegt sich eine kleine Welt, guckt aber auch immer wieder über die Grenze, besorgt, was wohl die Zukunft bringen wird.

Und im Geheimen sind die Menschen sicher dankbar, dass der Grenzzaun östlich des Dorfes verläuft und man so vom Bürgerkrieg verschont bleibt. Das jedoch spricht niemand aus. Und ich nenne auch lieber keine Namen, man weiss ja nie.

Thursday, May 22, 2014

Jaffa und das Hodgkin-Lymphom

Die hier folgende Geschichte erzählt etwas ganz Undramatisches, eine kleine Geschichte von Menschen, die zu verschiedenen Zeiten ans Ufer des östlichen Mittelmeeres gespült wurden.

Lest die Überschrift nochmals – Jaffa und das Hodkin-Lymphom. Was haben Jaffa, die 5000 Jahre alte Schwester von Tel Aviv und eine erstmals im Jahre 1832 vom englischen Arzt Dr. Thomas Hodgkin beschriebene und nach ihm benannte Krebserkrankung gemeinsam? Mark, ein alter Freund von mir und selber Arzt, hat mich darauf hingewiesen, dass dieser besagte Dr. Hodgkin (1798 – 1866) auf dem protestantischen Friedhof in Jaffa begraben ist. Diesen Friedhof haben wir kürzlich besucht.

Alte Friedhöfe sind herrliche Objekte für Führungen, man kann da wunderbar in alten Geschichten rühren, und sie erzählen auch die Geschichte des Totenkultes der jeweiligen Kulturen. Auf Korsika bauen die Lebenden ihren Toten richtiggehende Paläste. Im Wallis habe ich einen Dorffriedhof entdeckt, auf dem die hunderte von Gräbern zum grössten Teil die gleichen sechs Familiennamen tragen; die Inzucht lässt da ganz herzlich grüssen. In Berlin habe ich beim Besuch eines jüdischen Friedhofs das Familiengrab eines Arbeitskollegen entdeckt.

Der Eingang zur Tabithaschule 
Für den Besuch des protestantischen Friedhofs mussten wir uns bei der christlich-schottischen Tabithaschule anmelden; der kleine Friedhof liegt hinter der Schulhofmauer und ist nur über dessen Gelände zugänglich. Der Schlüssel wird nur zögernd ausgehändigt, aus Angst vor Vandalismus, dessen Anzeichen wir leider auch festgestellt haben. Nebst Mark und seiner Frau Carol war eine weitere Freundin mit dabei und da hat sich herausgestellt, dass sie selber aus der Hodgkin Familie stammt! Margret ist eine Engländerin, die vor vielen Jahren hier hängengebleiben ist. ("Hängenbleiben" umschreibt in der deutschensprachigen Gemeinde im Land den Einwanderungsgrund "Liebe", im Gegensatz zur jüdisch-zionistischen Einwanderung.) Das erklärt auch die christlich-protestantische Verwandtschaft von Margret und Dr. Hodgkin. Margret hat uns verschiedene Anektoten aus ihrer berühmten Familie erzählt, die, wie sich herausstellte, zwei Nobelpreise gewonnen hat und zwei bekannte Maler hervorgebracht hat. 
Margret am Grab ihres Vorfahrs
Dr.Thomas Hodgkin 

Aber wie in aller Welt kommt Dr. Thomas Hodgkin nach Jaffa, ein tiefreligiöser Londoner Quäker, Forscher und Pädagoge, laut verschiedenen Quellen ein komischer Kauz? Er begleitete den jüdischen Bankier und Philantrop Sir Moses Montefiore auf seinen Reisen ins Heilige Land als Leibarzt, erkrankte an Dysenterie (Ruhr) und starb hier, im Jahre 1866. Auf dem gleichen Friedhof ist auch die Gründerin der Tabithaschule, Jane Walker-Arnott, auch sie eine Engländerin, begraben.


Mein Freund Mark, in Afrika geboren und aufgewachsen, verweilte sehr lange, in Gedanken vertieft, am Grabe seines Kollegen.

Von links nach rechts: Mark, Carol, Regula und Margret.
Fotografien stammen von Chaim, der auch den
Anstoss zu diesem Blog gegeben hat.