Sunday, June 21, 2015

Zwischen Orthodoxie, Veränderung und Gleichgültigkeit

Vor geraumer Zeit wurde ich auf eine jüdisch-feministische Gruppe aufmerksam, die sich „Women of the Wall“ nennt; eine meiner Reisegruppen hat sich auch mit Batya getroffen, die in dieser Bewegung eine führende Rolle spielt.

Die Gruppe besteht seit 26 Jahren und kämpft für das Recht von Frauen, an der Klagemauer gemeinsam laut beten und singen zu dürfen, Tallit (Gebetschal) und Tefilin (Gebetsriemen) zu tragen und aus der Thora vorzulesen – lauter Dinge, die das orthodoxe Judentum den Frauen nicht gestattet. Die „Women of the Wall“ sind zum großen Teil Einwanderinnen aus den USA und gehören zur dort größten Strömung des Judentums, dem Reformjudentum. Seit Jahren streiten sie für religiöse Gleichberechtigung und haben in einigen Punkten vor dem Hohen Gericht einen Durchbruch erzielt. Link zur Webseite von Women of the Wall

Am 1. Tag des Monats Tammuz, der wie jeder jüdische (und auch muslimische) Monat bei Neumond beginnt, habe ich am frühen Morgen die Klagemauer aufgesucht.

6.30 Uhr: Bereits aus großer Entfernung hört man die Männer singen, sie beten und tanzen, laut, gemeinsam, so ist es Brauch, so bestimmt es die Halacha, der jüdische Gesetzeskodex. Auf der Frauenseite sitzen die Frauen, jede für sich, und beten leise, so ist der Brauch, so bestimmt es die Halacha.

Bis 7.00 Uhr haben sich 250 Frauen aller Altersstufen auf der Frauenseite versammelt, zum Teil tragen sie eine Kippa (die Kopfbedeckung der religiösen Männer), den Tallit und Tefilin. Sie beginnen mit dem Gebet, das den neuen Monat empfängt. Jedes Mal, wenn die Frauen laut singen, gellen schrille Pfiffe über den Platz. Ich suche die Störenfriede auf der Männerseite, kann jedoch nichts erkennen.











7.30 Uhr: Zwei Polizisten haben die Missetäter ausfindig gemacht, es sind einige fromme Frauen, die sich empört gegen dieses allmonatliche Spektakel wehren, das sie als Provokation empfinden.


Nur wenige Frauen sind es, fünf oder sechs, Einzelkämpferinnen, streitbare Frauen, die sich nun zu einer heiligen Allianz zusammengeschlossen haben. Sie beschimpfen die geschlossene Gruppe der „Women of the Wall“: „Schämt Euch, ihr seid Ungläubige, geht nach Hause, ihr verstoßt gegen die Halacha, ihr stört uns.“ Es sind mutige Frauen, deren Leben von der Orthodoxie geprägt ist, die gewohnt sind, den Rabbinern und der Halacha zu gehorchen, einem Lebensrhythmus unterworfen, der alles vorbestimmt. Und jetzt plötzlich lehnen sie sich auf, gegen dieses Neue, Ungewohnte. Sie besprechen sich, sie beten gemeinsam (!), drängen fromme junge Mädchen weg, die neugierig die Gruppe der singenden Frauen beobachten. Die jungen Seelen könnten schlecht beeinflusst werden von diesen frechen Frauen, die es wagen, öffentlich zu singen und zu beten!










Die Frauenseite der Klagemauer wird hier zum Mikrokosmos des Judentums, dem Disput zwischen der orthodoxen Auslegung der jüdischen Gesetze, die in Israel alleine bestimmend ist, und den verschiedenen liberalen Strömungen des Judentums, die sich vor allem in den USA entwickelt haben und die eine moderne Gesetzesauslegung befürworten. In Israel haben diese liberalen Strömungen keinen rechtsgültigen Status.

Verbotene Handlung auf der Frauenseite
der Klagemauer: lautes Beten, Singen und
Toralesen.
Neben den verschiedenen Strömungen und den Diskussionen über das „wahre“ Judentum steht die Mehrheit der säkulären Israelis und versteht nicht, worum es eigentlich geht, was der ganze Lärm soll. Unkenntnis der religiösen Gesetze, Gleichgültigkeit und tagtäglicher Stress prägt diesen Teil der Gesellschaft: die ewig steigenden Wohnungspreise, die Verkehrsstaus, der unerträglich heiße Sommer, die zwei Monate dauernden Sommerferien, für die man jeden Tag neu eine Ganztagesbetreuung für die Kinder sucht, um weiter arbeiten zu können. Wen kümmert da, was der neue Religionsminister, David Azulai, von der orthodoxen Schas-Partei, letzte Woche in einem Interview sagt: „Wenn Frauen mit Tallit, Tefillin und einer Thorarolle zur Klagemauer kommen, ist das kein Gebet, es ist eine Provokation!“ In der Gedankenwelt der säkularen Israelis ist für die als Haarspalterei empfundenen Streitereien der Frommen zwischen Orthdox und Liberal kein Platz.


 Am Schabbat fahren keine Busse, es gibt keine Ziviltrauungen (s. dazu meinen letzten Blog), alles unter dem Diktat der Orthodoxie, und das geht uns alle an. So betrachte ich die Women of the Wall als wichtigen Teil einer Debatte, die in der israelischen Gesellschaft stattfinden sollte.

Monday, June 15, 2015

Ein Recht auf Liebe?

Gedanken zu Heirat, Scheidung und moderner ziviler Gesetzgebung in Israel

Tel Aviv schmückt sich mit den Regenbogenfahnen der LGBT Gemeinde (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) und feiert im Juni eine Woche lang das GayFestival.
Auf der Tel Aviver Gay-Webseite werden die Fortschritte in der Gleichstellung der sexuellen Minderheiten in Israel gelobt: die progressive Gesetzgebung und Rechtsprechung, die Änderungen der letzten Jahre von einem Leben am Rand der israelischen Gesellschaft hin zu erhöhter Sichtbarkeit und wachsender Akzeptanz.
http://www.gaytlvguide.com/start-here/gay-rights-in-israel

Die Regenbogenflaggen wehen in Tel Aviv
 Juni 2015 
In der Schweiz wird homosexuellen Paaren durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom Mai 2015 das Recht auf Adoption verweigert. In Deutschland wird über eine Gesetzesänderung für gleichgeschlechtliche Ehen gestritten. Die Diskussion dreht sich um das Recht auf Liebe und die Wahl, den geliebten Partner auch heiraten zu dürfen.

Israel gibt sich fortschrittlich. Gleichgeschlechtliche Paare bringen ihre durch Leihmutterschaft gezeugten und geborenen Kinder aus dem Ausland mit, und sie werden als Kinder beider Ehepartner registriert.

Hier folgt jedoch ein großes Aber. Für das Gros der israelischen Bevölkerung gibt es im zivilen Bereich keine progressive Gesetzgebung und Rechtssprechung. Es gibt keine Ziviltrauung. Die Verantwortung liegt allein bei den religiösen Instanzen, bei den jeweiligen jüdischen, muslimischen oder christlichen Institutionen. So wurde es im osmanischen Reich bis 1918 in der ganzen Region gehandhabt, und die Engländer, die 30 Jahre lang die Region verwalteten, haben daran nichts verändert. Israel hat diese Gesetze 1948 mit der Staatsgründung dann ebenfalls übernommen, und obwohl es verschiedene Vorstöße in der Knesset gab – geändert wurden sie nicht.
So gilt nun für Juden im Staat das halachische Gesetz, für Muslime gilt die Scharia. Die Halacha bestimmt beispielsweise, dass ein männlicher Jude aus der Priesterkaste (eine Einrichtung aus der Tempelzeit; heute existiert diese Kaste nur noch dem Namen nach – Cohen, Kagan etc.) keine geschiedene Frau heiraten darf. Jüdischen Einwanderern, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, die ihre jüdische Abstammung nicht nachweisen können, wird die Ehe mit einem Juden verweigert. Bei der Heirat wird die jüdische Frau dem Mann „angeheiligt“, folglich ist auch der Mann derjenige, der die Scheidung initiieren darf. Eine jüdische Frau, die sich scheiden lassen möchte, bleibt auf ewig gebunden, wenn der Ehemann sich der Scheidung verweigert. Der kürzlich erschienene Film „Gett − der Prozess der Viviane Amsalem“ zeigt diese Problematik mit aller Deutlichkeit, und zwar sowohl die Ohnmacht der Frauen als auch die (vermeintliche?) Machtlosigkeit der Rabbiner gegenüber der Willkür eines eifersüchtigen Ehemannes. Hier ein Link zum Trailer des Films http://www.imdb.com/title/tt3062880/   Ein muslimischer Mann kann sich von seiner Frau scheiden lassen, sie hat kein Mitspracherecht. Das sind nur einige wenige Beispiele dieser „altehrwürdigen“ Gesetze. Es gibt auch keine religiösen „Mischehen“ − welche Institution sollte eine Muslima mit einem jüdischen Mann oder einen christlichen Mann mit einer Jüdin verheiraten?

Yaara und Omer gehören zu den wenigen, die hier ohne Rabbiner
geheiratet haben, unterstützt von der Bewegung "freies Israel"
http://bfree.org.il/english
Wer hier nicht heiraten darf, kann eine Ehe im Ausland schließen, was dann wiederum vom demokratisch-zivilen Staat Israel anerkannt wird: Der Staat registriert das Paar als Ehepartner. Im naheliegenden Zypern hat sich eine richtiggehende Heiratsindustrie entwickelt. Es geschieht aber eher selten, dass säkulare Israelis, die hier heiraten dürfen, eine Eheschließung im Ausland wählen, um so dem Rabbinat den Rücken zu kehren. Paradoxerweise müssen sich Paare, die im Ausland geheiratet haben, bei einer Trennung doch wieder an die religiösen Instanzen wenden, und die Scheidung wird dann von den religiösen Institutionen ausgesprochen.

Wir geben uns modern und brüsten uns damit, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein. Aber der Staat verweigert vielen Liebenden ein grundsätzliches demokratisches Menschenrecht, verankert in der allgemeinen Menschenrechtserklärung der UNO: das Recht, einen geliebten Menschen zu heiraten. Die breite Masse der Israelis steht dieser Ungerechtigkeit scheinbar gleichgültig gegenüber, die meisten beugen sich dem Diktat der Orthodoxie, die in religiösen Dingen das alleinige Sagen hat.

Die LGBT-Gemeinde kämpft seit Jahren mit Erfolg für ihre Rechte. Warum kämpfen wir Säkularen nicht für die unsrigen?

Unsere ältere Tochter und ihr Freund haben sich entschieden, im Ausland zu heiraten und so ein Zeichen zu setzen. Wir unterstützen diese Entscheidung in vollem Umfang.

Monday, March 30, 2015

Wahl-Bekanntschaften

Am 17.3.2015 (Wahltag in Israel) haben wir vorgefeiert, bis abends um 10, zusammen mit unseren Kindern und ihren Partnern, und zwar in Tel Aviv. Doch wir haben uns zu früh gefreut. Kaum wurden die ersten Wahlergebnisse bekannt gegeben, verstummte die quicklebendige und immer laute Stadt. Tel Aviv hatte auf Veränderung gesetzt, sich eine neue Zukunft, einen neuen Weg gewünscht und entsprechend dieser Hoffnung gewählt. Doch wieder war alle Mühe umsonst.

Auf dem Berg der Seligpreisungen.
Seither wurde viel geschrieben und geredet. Warum hat der israelische Wähler entgegen allen Erwartungen Nethanyahu wiedergewählt? Wie konnte das Unmögliche möglich werden? Und das zum wiederholten Mal? In meinem eher links denkenden Umfeld hatten doch alle Herzog (d.h. das zionistische Lager alias Arbeiterpartei) gewählt. Oder die anti-religiöse menschenrechtsbewegte Meretz. Oder die Zentrumspartei.

Ich bin mit einer Gruppe deutscher Touristen im Land unterwegs und blicke prüfend in die Gesichter der Leute, die uns begegnen. Wer hat Likud gewählt? Wer die Nationalisten? Oder gar die Ultras? Langsam entdecke ich sie, all die Anhänger derjenigen, die jetzt entgegen unseren eigenen Erwartungen und Hoffnungen wieder die Regierung bilden.

Eine ältere Freundin erklärt mir, warum sie sich für die Siedlerpartei von Naftali Bennett entschieden hat. „Als Kind in Afrika wurde ich mit Steinen beworfen, weil ich Jüdin war. Was wussten diese Kinder über Juden? Jetzt bin ich hier in meinem eigenen Land. Palästinenser? Wenn sie den Hass auf die Juden aus ihren Schulbüchern entfernen, dann sprechen wir mit ihnen. Vorher nicht. Erst müssen sie sich ändern.“ Mit ihr diskutieren ist unmöglich, wir schreien uns nur an. Zu groß, zu unüberbrückbar die politische Kluft, die uns trennt. Weil wir unsere Freundschaft hoch halten, umschiffen wir konsequent die Klippen der Politik und unterhalten uns lieber über andere Dinge.

Im Taxi serviert mir der Fahrer einen 10-minütigen Monolog ohne Punkt und Komma. „Was haben diese Linken auf der Demo in Tel Aviv gesagt? Sie finden alle Mesusaküsser* blöd? Ich gehöre auch zu denen, und meine ganze Familie, und wir alle wählen Likud, wir haben immer Likud gewählt, und diese linken Aschkenasen (europäischen Juden) sind Rassisten, die machen uns das Land kaputt. Und die Medien beherrschen sie auch. Und überhaupt. Viele von denen arbeiten nicht mal, die leben auf Kosten der Nationalversicherung und lassen sich mit ihren Kindern in meinem Taxi zum Kindergarten kutschieren. Glaub mir, ich kenne sie alle. Für mich ist Nethanyahu der König, und einen König setzt man nicht ab."
(* Die Mesusa ist eine Kapsel am Türrahmen, die eine kleine Schriftrolle mit Bibelversen enthält und dem Haus Segen bringen soll. Viele religiöse Juden küssen beim Betreten des Hauses die Mesusa.)

Im Hotel in Tiberias erklärt mir der fromme Mann, der im Namen der Religion darauf achtet, dass die Küche gemäß den jüdischen Speisevorschriften geführt wird, warum er seinen Stimmzettel der religiös-sephardischen Schas-Partei gibt: „Die Juden wurden immer gehasst. Deshalb können wir uns nur auf uns selbst verlassen. Weißt du eigentlich, was Sinai bedeutet, der Name des Bergs, wo das Volk Israel die Tora erhalten hat? Sinai, das kommt von sin’a – Hass. Seit wir die Thora erhalten haben, hassen uns alle Völker.“  „Tut mir Leid“, entgegne ich ihm, „mein Hebräisch ist zwar nicht perfekt, aber mit sin’a – Hass − hat Sinai rein gar nichts zu tun, da hat dir jemand einen schönen Floh ins Ohr gesetzt.“   

Unser junger Nachbar überlegt, ob er für die Siedlerpartei stimmen soll (und damit gegen die Araber und die Zweistaatenlösung) oder für eine der Zentrumsparteien, die die Hoffnung schüren, dass es für die Jungen wirtschaftlich bald aufwärts geht. Ich kenne ihn als jemanden, der vor allem von Angst getrieben wird: Angst vor den Arabern, Angst vor Einbrechern, Angst vor unserem Kater – für Nethanyahu, der seine Wählerschaft mit der Angst vor allem Möglichen mobilisiert, das ideale Opfer. Es würde mich nicht wundern, wenn der junge Mann im letzten Moment Likud gewählt hat. Schließlich geht auch das als Stimme gegen die Araber.

In Kapernaum treffe ich Dalia, eine Kollegin, die eine Gruppe portugiesischer Pilger herumführt. Wir sind uns einig: Diese Wahlen sind eine Katastrophe und bringen uns rein gar nichts Gutes. Ich spreche mit Orly, mit Sigal, mit Daniel, mit meiner Familie, Freunden, Bekannten. Alle haben fürs Mitte-Links-Lager gestimmt. Ein tiefer Riss geht durch die israelische Gesellschaft, die Linken hassen die Rechten, die Rechten hassen die Linken und die Araber dazu.

Als wäre nichts passiert......
Am Tag nach den Wahlen habe ich von morgens bis abends geweint, über die Dummheit der israelischen Wählerinnen und Wähler, über verlorene Hoffnungen, über ausgeträumte Träume.

Meine Tochter teilt mir mit, dass sie und ihr Partner ihr Heil im Ausland suchen wollen.

Die Kronwucherblumen blenden mit ihrer gelben Pracht, die Störche lassen sich von den Aufwinden in die Höhe tragen und ziehen nach Europa, die Amseln bauen ihre Nester. Es ist Frühling. Und das Leben geht weiter. Als wäre nichts passiert.



Wednesday, February 4, 2015

I have a dream – ich habe einen Traum

Gedanken zu den bevorstehenden Wahlen in Israel am 17.3.2015


I have a dream
Im Jahre 1963 hielt der Menschenrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede, in der er seine Visionen zusammenfasste. I have a dream – mit diesen Worten stellte er seine Grundsätze einer egalitären zivilen Gesellschaft vor. Vom visionären Inhalt einmal abgesehen, ist diese Rede auch ein rhetorisches Kunststück.

Auch ich habe meine Träume für unser kleines geplagtes Land.


Ich träume von einer israelischen Regierung, die die Gemeinsamkeiten aller Bürger hervorhebt.
Heute haben wir eine Regierung, die den Rassismus und die Unterschiede schürt.
Wir alle lieben Hummus (Kichererbsenpüree, eine arabische Spezialität) und benutzen im Hebräischen u.a. arabische Ausdrücke wie alha kefak (prima), sababa (wunderbar) und mabsut (zufrieden). Arabische Trödlersammler ziehen durch israelische Städte und rufen "all-te-Sa-chähn" (alte Sachen), ein von den Jiddisch sprechenden osteuropäischen Juden vor vielen Jahren  mitgebrachte Bezeichnung für Trödel. Nicht nur gehören etliche arabische Wörter zum Alltagshebräisch, auch viele hebräische Vokabeln haben sich ins palästinensische Arabisch eingeschlichen.

Ich träume von einer israelischen Regierung, die die Koexistenz fördert.
Heute haben wir eine Regierung, die die Angst schürt.
Wir leben in EINEM Land zusammen (gemeint ist das Kernland Israels, ohne Westjordanland oder Gazastreifen), und werden es voraussichtlich noch lange tun, 80% Juden, 20% Araber. Es gibt Ansätze von Begegnungen, Dialogen, kulturellem Austausch, Sportanlässen, gemeinsamer Begabtenförderung, aber noch immer wird viel zu wenig für unsere Koexistenz getan und in zu geringem Umfang.

Ich träume von einer israelischen Regierung, die Zukunftsvisionen hat.
Heute haben wir eine Regierung, die die bestehenden Konflikte verwaltet, mehr nicht.
Es gibt viele Vorschläge für eine Lösung des gordischen Knotens namens Nahostkonflikt, von der Genfer Initiative bis zum saudiarabischen Vorstoß, Vorschläge von amerikanischer und europäischer Seite. Die Pferde wurden zur Tränke geführt, die Zeit ist reif, jetzt geht’s ans Trinken.

Ich träume von einer Regierung, die in Bildung und Gesundheit investiert.
Heute haben wir eine Regierung, die riesige Beträge in die Siedlungen steckt.
Ein gutes Bildungswesen ist eine Investition in unsere Zukunft, in die Zukunft der Juden, Muslime und Christen in diesem Land, für alle gemeinsam. Es ist kontraproduktiv, in jüdische Siedlungen zu investieren, auch wenn die messianischen Ideologen gegenteiliger Meinung sind.

 L’état c’est moi.
Ich träume von einer Regierung, die sich den Bürgern verpflichtet fühlt.
Heute haben wir eine Regierung, die immer mehr in Vetternwirtschaft und Korruptionsaffären verwickelt ist.
Besetzung, Kolonialisierung und Machtausübung über lange Zeiträume korrumpieren. Ein Skandal löst den anderen ab, ehemalige Führungskräfte treffen sich im Gericht und später im Gefängnis. Ein König, nur sich selbst verpflichtet, sagte vor mehr als 300 Jahren: L’état c’est moi. Zwei Generationen später brach die Französische Revolution aus. Politische Prozesse geschehen heute viel schneller.

Ich träume von einer Regierung, die sich fragt, wie man es besser machen kann.
Heute haben wir eine Regierung, die die Schuld an allem immer bei anderen sucht.
Diese Regierung hetzt, gegen den Palästinenserpräsidenten Abbas, gegen die israelische Linke, gegen alle, die eine andere Meinung haben. Noch fühle ich mich nicht bedroht. Im letzten Sommer, als wir gegen den Gazakrieg demonstrierten, mussten wir jedoch von der Polizei geschützt werden gegen die aufgehetzten Massen.

Die letzte Umfrage, 6 Wochen vor den Wahlen, deutet auf einen kleinen Vorsprung der Likudpartei von Benjamin Netanjahu gegenüber der Arbeiterpartei von Itzhak Herzog und Zipi Livni hin. Also weitere Jahre voller Kleinkriege, die uns nicht weiterbringen, eine Fortsetzung des Siedlungsausbaus im Westjordanland, der Korruption, des Rassismus und der Hoffnungslosigkeit?

Israel ist nicht allein für die Krisen im Nahen Osten verantwortlich. Die arabische Welt befindet sich im Umbruch, sie wird geschüttelt von einer tiefen Krise, die immer wieder in brutalen Gewaltsausbrüchen gipfelt. Ich jedoch lebe in der israelischen Gesellschaft. Mein Traum ist es, dass diese Gesellschaft sich wandelt, dass sie einen Schritt in die richtige Richtung tut.

Ich habe einen Traum. Lasst uns gemeinsam träumen. 
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. (David Ben Gurion).
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.




Tuesday, January 20, 2015

Vom Königskuchen zur Epiphanie am Jordanfluss

Jeweils am 6. Januar hat unsere Mutter in der Bäckerei einen Königskuchen mit Krone gekauft. In diesem Gebäck steckte immer ein kleiner König aus Plastik, und wer ihn bekam, wurde an diesem Tag zum König gekrönt. So haben wir in den westlichen Kirchen die Anbetung Jesu in Bethlehem durch die drei Könige gefeiert, die auch bekannt sind als die Weisen aus dem Morgenland. Die Ostkirchen feiern an diesem Tag die Taufe Jesu und die Offenbarung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Westkirchen wie Ostkirchen nennen dieses Fest auch Epiphanie, ein griechisches Wort, das übersetzt so viel wie „Erscheinung des Herrn“ bedeutet. Kompliziert? Ja! Ein Fest mit verschiedenen Bedeutungen, und zudem wird es in den Ostkirchen, die ihre Feste nach dem Julianischen Kalender begehen, erst am 18. Januar gefeiert.

Der Jordan ist, nach europäischen
Massstäben, nur ein Bach
Jesus wurde östlich von Jericho am Jordan getauft, etwas nördlich vom Toten Meer, an einer Stelle, die im Arabischen Kasser El Yehud heißt, was so viel wie bedeutet wie „Judenfurt“. Nach jüdischer Überlieferung überquerten die Israeliten hier nach 40 Jahren Wüstenwanderung den Jordan und betraten den Boden des verheißenen Landes. Später wurde der Prophet Elijah von hier mit dem Goldenen Wagen in den Himmel gehoben. Ja, und dann eben noch die Taufe Jesu.

Ein Blick über die Grenze nach Jordanien
Und jetzt wird es, wie immer, etwas politisch. Kasser El Yehud liegt im palästinensischen Westjordanland, wird aber von Israel militärisch und administrativ verwaltet. Das Ostufer gehört zu Jordanien. Auf der jordanischen Seite stehen einige Klöster, auf beiden Seiten wurden Treppen zum Flüsschen hinunter errichtet, und jeden Tag kommen Christen, um sich hier taufen zu lassen. Auf jeder Seite stehen einige Soldaten, die die Menge be- und überwachen. Die Region ist gottverlassen, unwirtlich, aber der Blick auf den Jordan überrascht und bewegt immer wieder aufs Neue.    

Wir fahren in der ganzen Welt herum, um Volksbräuche zu bewundern. Und hier geschehen sie, farbenfroh, von verschiedenen Kulturen und christlichen Glaubensrichtungen begangen, direkt vor unserer Nase. Auch dieses Jahr. Es war ein Fest der Sinne.

Und jetzt lasse ich einfach die Bilder der Epiphanie 2015 für sich sprechen.

 

Messe der Assyrischen Gemeinde, die
aus Bethlehem angereist ist.
 
Palästinensische Frauen der assyrischen
Gemeinde
 
Die Gemeinde am westlichen Ufer
des Jordans
 

Die Gemeinde am östlichen Ufer des
Jordans im Dialog, der Grenzen überwindet
 
Die Messe der koptisch-äthiopischen Gemeinde
 
Andacht am Jordan
 
Und jetzt wird gefeiert
 

 
Mitglieder der äthiopischen Gemeinde
 

 
Am und im Wasser gibt es viele Taufen.
 
Eine Taufe an diesem Tag eine besondere
Bedeutung. 
 
Russische und afrikanische Gläubige vor
der Taufe. Das Wasser ist kalt!
 
Andacht im Wasser
 
Auch die Franziskaner fehlen nicht.