Am 17.3.2015 (Wahltag in Israel) haben wir vorgefeiert, bis
abends um 10, zusammen mit unseren Kindern und ihren Partnern, und zwar in Tel
Aviv. Doch wir haben uns zu früh gefreut. Kaum wurden die ersten Wahlergebnisse
bekannt gegeben, verstummte die quicklebendige und immer laute Stadt. Tel Aviv
hatte auf Veränderung gesetzt, sich eine neue Zukunft, einen neuen Weg gewünscht
und entsprechend dieser Hoffnung gewählt. Doch wieder war alle Mühe umsonst.
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Auf dem Berg der Seligpreisungen. |
Ich bin mit einer Gruppe deutscher
Touristen im Land unterwegs und blicke prüfend in die Gesichter der Leute, die
uns begegnen. Wer hat Likud gewählt? Wer die Nationalisten? Oder gar die Ultras?
Langsam entdecke ich sie, all die Anhänger derjenigen, die jetzt entgegen
unseren eigenen Erwartungen und Hoffnungen wieder die Regierung bilden.
Eine ältere Freundin erklärt mir,
warum sie sich für die Siedlerpartei von Naftali Bennett entschieden hat. „Als
Kind in Afrika wurde ich mit Steinen beworfen, weil ich Jüdin war. Was wussten
diese Kinder über Juden? Jetzt bin ich hier in meinem eigenen Land.
Palästinenser? Wenn sie den Hass auf die Juden aus ihren Schulbüchern
entfernen, dann sprechen wir mit ihnen. Vorher nicht. Erst müssen sie sich
ändern.“ Mit ihr diskutieren ist unmöglich, wir schreien uns nur an. Zu groß,
zu unüberbrückbar die politische Kluft, die uns trennt. Weil wir unsere
Freundschaft hoch halten, umschiffen wir konsequent die Klippen der Politik und
unterhalten uns lieber über andere Dinge.
Im Taxi serviert mir der Fahrer einen
10-minütigen Monolog ohne Punkt und Komma. „Was haben diese Linken auf der Demo
in Tel Aviv gesagt? Sie finden alle Mesusaküsser* blöd? Ich gehöre auch zu
denen, und meine ganze Familie, und wir alle wählen Likud, wir haben immer
Likud gewählt, und diese linken Aschkenasen (europäischen Juden) sind
Rassisten, die machen uns das Land kaputt. Und die Medien beherrschen sie auch.
Und überhaupt. Viele von denen arbeiten nicht mal, die leben auf Kosten der
Nationalversicherung und lassen sich mit ihren Kindern in meinem Taxi zum
Kindergarten kutschieren. Glaub mir, ich kenne sie alle. Für mich ist
Nethanyahu der König, und einen König setzt man nicht ab."
(* Die Mesusa ist eine Kapsel am
Türrahmen, die eine kleine Schriftrolle mit Bibelversen enthält und dem Haus
Segen bringen soll. Viele religiöse Juden küssen beim Betreten des Hauses die
Mesusa.)
Im Hotel in Tiberias erklärt mir der
fromme Mann, der im Namen der Religion darauf achtet, dass die Küche gemäß den
jüdischen Speisevorschriften geführt wird, warum er seinen Stimmzettel der
religiös-sephardischen Schas-Partei gibt: „Die Juden wurden immer gehasst.
Deshalb können wir uns nur auf uns selbst verlassen. Weißt du eigentlich, was
Sinai bedeutet, der Name des Bergs, wo das Volk Israel die Tora erhalten hat?
Sinai, das kommt von sin’a – Hass. Seit wir die Thora erhalten haben, hassen uns
alle Völker.“ − „Tut mir Leid“, entgegne ich ihm, „mein
Hebräisch ist zwar nicht perfekt, aber mit sin’a – Hass − hat Sinai rein gar
nichts zu tun, da hat dir jemand einen schönen Floh ins Ohr gesetzt.“
Unser junger Nachbar überlegt, ob er
für die Siedlerpartei stimmen soll (und damit gegen die Araber und die
Zweistaatenlösung) oder für eine der Zentrumsparteien, die die Hoffnung
schüren, dass es für die Jungen wirtschaftlich bald aufwärts geht. Ich kenne
ihn als jemanden, der vor allem von Angst getrieben wird: Angst vor den
Arabern, Angst vor Einbrechern, Angst vor unserem Kater – für Nethanyahu, der
seine Wählerschaft mit der Angst vor allem Möglichen mobilisiert, das ideale
Opfer. Es würde mich nicht wundern, wenn der junge Mann im letzten Moment Likud
gewählt hat. Schließlich geht auch das als Stimme gegen die Araber.
In Kapernaum treffe ich Dalia, eine
Kollegin, die eine Gruppe portugiesischer Pilger herumführt. Wir sind uns
einig: Diese Wahlen sind eine Katastrophe und bringen uns rein gar nichts Gutes.
Ich spreche mit Orly, mit Sigal, mit Daniel, mit meiner Familie, Freunden,
Bekannten. Alle haben fürs Mitte-Links-Lager gestimmt. Ein tiefer Riss geht
durch die israelische Gesellschaft, die Linken hassen die Rechten, die Rechten
hassen die Linken und die Araber dazu.
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Als wäre nichts passiert...... |
Am Tag nach den Wahlen habe ich von
morgens bis abends geweint, über die Dummheit der israelischen Wählerinnen und
Wähler, über verlorene Hoffnungen, über ausgeträumte Träume.
Meine Tochter teilt mir mit, dass
sie und ihr Partner ihr Heil im Ausland suchen wollen.
Die Kronwucherblumen blenden mit
ihrer gelben Pracht, die Störche lassen sich von den Aufwinden in die Höhe tragen
und ziehen nach Europa, die Amseln bauen ihre Nester. Es ist Frühling. Und das
Leben geht weiter. Als wäre nichts passiert.
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